Quantcast
Channel: Ruhrspeak
Viewing all 106 articles
Browse latest View live

#2 vom 23. Juli 2019 – Hannibal, Wulfen und das visuelle Gedächtnis

$
0
0

Die LEG hat das Wohnhochhaus Hannibal I in Dortmund und 1.200 Wohnungen in der Neuen Stadt Wulfen zusammen mit mehr als 1.000 weiteren Wohnungen an einen Investmentfonds in die Karibik verkauft.

Hannibal I in der Dortmunder Nordstadt und Hannibal II in Dortmund-Dorstfeld sind Zeugen der Stadtsanierungen der 1960er und 1970er Jahre. Der Verkauf des im Film Jede Menge Kohle zu sehenden Dorstfelder Gebäudes an einen anderen Investor endete 2017 in der „beispiellosen Vertreibung von 753 Menschen aus ihren Wohnungen“.

Wegen fehlendem Brandschutz mussten die Bewohner ihre Wohnungen binnen einer Stunde verlassen und können seither trotz bestehender Mietverträge nicht zurück: Das Gebäude ist stromlos, versiegelt und verbarrikadiert. Es ist weiterhin völlig unklar, wie es weitergeht.

Wulfen-Barkenberg kann als verdichtete Ruhrgebietsgeschichte der Nachkriegszeit gelesen werden. Die 8.000 Mitarbeiter der komplett neuen und als leistungsstärkste Anlage des Reviers geplanten Zeche Wulfen sollten nicht in einer herkömmlichen Zechensiedlung, sondern einer ebenfalls komplett neuen und neuartigen Stadt leben – mit 50.000 Einwohnern, gemischter Struktur, modernen Leitbildern wie der Trennung von Autos und Fußgängern und ganz neuen Konzepten wie der Metastadt, der Finnstadt und dem Habiflex. Der Beginn der Arbeiten an der Zeche fiel mit dem Allzeithoch der Steinkohlenförderung 1957 zusammen.

Wulfen blieb die letzte Neugründung einer Steinkohlenzeche in Deutschland. Gebaut wurden nur die beiden Schächte und minimale Infrastruktur. Höchstens 408 Mitarbeiter förderten ab 1964 weniger als 10% der geplant gewesenen Tagesmenge. 1975 wurde die Anlage mit Fürst Leopold in Dorsten zusammengelegt und die Neue Stadt Wulfen als Wulfen-Barkenberg ebenfalls nach Dorsten eingemeindet.

Verfüllung der Schächte 2000, Abbruch der Tagesanlagen 2003, seither Brache, letzte Arbeiten unter Tage 2015

In Barkenberg lebten maximal 12.000 Menschen. Seit 1994 ist die Bevölkerungszahl rückläufig, zur Zeit beträgt sie 8.000. Große Teile des Viertels wurden in den lezten Jahren abgerissen, bestimmte andere wie die Finnstadt erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit.

Visuelles Gedächtnis

PixelProjekt in groß – Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat den Aufbau einer zentralen Einrichtung zur Bewahrung des fotografischen Kulturerbes des Landes angestoßen: „Die Werke herausragender deutscher Fotografinnen und Fotografen sind ein wichtiger Teil unseres nationalen Kulturerbes. Doch es gibt erheblichen Nachholbedarf dabei, dieses visuelle Gedächtnis unserer Gesellschaft systematisch zu sichern, aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Deshalb brauchen wir eine zentrale Einrichtung.“

Weder Museen noch Galerien seien dafür geeignet. Ein Team unter Thomas Weski und mit Ute Eskildsen soll nun Empfehlungen zu Struktur, Aufgaben und Funktionen einer solchen Einrichtung earbeiten.

Der Ankündigung voraus ging u.a. die Diskussionsrunde Fotoarchive – Kulturgut oder Handelsware? an der UdK Berlin am Anfang des Monats.

IndustrieFilm Ruhr ’19

„Erschließungs- und Bildungsarbeit zugleich“ – Schon mal zum Vormerken: Filmschätze aus Ruhrgebietsarchiven gibt es wieder am 17.11. bei der Industriefilm Ruhr zu sehen. Dauerhaft interessant sind die unten auf der Seite verlinkten umfangreichen Programmhefte von 1997 bis 2009. Manfred Rasch vom ThyssenKrupp-Aarchiv beschreibt, was Industriefilme interessant macht und wie sie erschlossen werden.

Und sonst?

„I’m an Outsider on the Inside“ – Bruce Davidson, Interview im New Yorker, Fotos aus Wales 1965, inclusive des Jungen mit dem Puppenwagen. //„Also: wie schreibt man Foto-Geschichte?“Neuere Ansätze von Stefan Gronert und Camera Austria – A History.

Text: Haiko Hebig


Streifzug #3 vom 30.07.2019 – Rekonstruktionen

$
0
0

China in Duisburg, Abriss in Dortmund und Rückabwicklung in Europa – der Streifzug der Woche, von Haiko Hebig.

Mangels passender Masse bleibt das Ruhrgebiet bisher davon verschont, europaweit prägende Wirkung entfaltet sie trotzdem: die Neuerrichtung nicht mehr vorhandener Gebäude aus vordemokratischen Zeiten, “die stadträumliche Herstellung anachronistischer Gesellschaftsordnungen” mittels Beton – kurz: die Rekonstruktion. Was da wer eigentlich wiederhergestellt, ausgeblendet, umgedeutet und rückabgewickelt sehen will, und was das mit den Bürgern macht, die in ihrem Alltag mit solchen Bauten konfrontiert werden, ist die große Frage. Dabei ist der revanchistische Kern des Programms unübersehbar: nach Jahrzehnten Vorarbeit ist es mittlerweile in Deutschland nicht nur möglich, ausgerechnet auf einem Walter-Benjamin-Platz ein Zitat des Faschisten Ezra Pound in Stein zu meißeln, sondern auch Ikonen des Wiederaufbaus wie die Frankfurter Paulskirche von 1948 und das Mosaik des Phönix aus der Asche auf die Abrissliste zu setzen. Die von der Rechten geforderte “erinnerungspolitische Wende um 180 Grad” sei in Dresden “bereits vollzogen“, diagnostiziert Stefan Trüby, Initiator des Projekts Rechte Räume. So gewiss scheint das “Nie wieder” plötzlich nicht mehr zu sein: “In ihrem Triumphzug führt die Neue Rechte als Beute die Baukultur als identitätspolitisches Programm mit. Damit dringt sie tief in die bürgerliche Mitte ein, schließlich ist niemand gleich rechts, nur weil er oder sie Rekonstruktionen schön findet.” Umfangreiche Beleuchtung des Themas anhand einer Europareise von Rom nach Berlin auf den 240 wie immer dicht befüllten Seiten der aktuellen ARCHplus-Ausgabe.

Was das Ruhrgebiet sehr betrifft: die Belt and Road Initiative, besser bekannt als Neue Seidenstraße, auch eine Rekonstruktion. An das Infra­struktur­projekt sind mittlerweile mehr als 125 Länder angeschlossen, bilaterale Abkommen mit einem EU-Mitglied inclusive, und Duisburg ist Endpunkt einer direkten Bahnverbindung mit China: 12.000 Kilometer, 35 Züge pro Woche, voll hin, weniger voll zurück, 14 Tage Fahrzeit, Ziel 10 Tage. Welche Auswirkungen das Aufeinandertreffen der Systeme der strategischen staatlichen Investition und der privatisierten Gewinnabschöpfung an den Schnittstellen hat, zeigt das Beispiel Piräus – der wichtigste griechische Hafen steht nach Druck der EU unter chinesischer Verwaltung: “Wenn wir das Feld anderen überlassen, werden wir wirklich unschöne Zeiten erleben.” Unser Titelbild aus dem Pixelprojekt Ruhrgebiet dazu: Menschen im Hafen Duisburg 1997 von Regina Minwegen. Weitere Fotoserien: Davide Monteleone: A New Silk Road, Natacha de Mahieu: Far West China.

An der Ruhr auch nicht unbekannt: Stilllegung, Schrumpfung, Abriss. Am Tor des Dortmunder Hüttenwerks Union hängt neuerdings zwischen den großen Transparenten des Abrissunternehmens ein kleines Schild, vielleicht A4: “Ehemaliges Stahlwerk “Dortmunder Union”, in dem tausende Menschen Arbeit fanden. Mit einer sehr bewegten Geschichte, vielen Inhaber- und Namens­wechseln, herausragende Produkten auf einer Fläche von 45 Ha (63 Fußballfelder) und der letzten Schicht kurz vor Weihnachten 2015.” Dazu ein Luftbild der Anlage fast in Vollausbau: Hochofenwerk, Stahlwerke, Schmiede, Walzwerke und Brückenbau, alles direkt am Hauptbahnhof. Das kleine Schild wird vielen, die es entdecken, erstmals ermöglichen, Funktion und Ausmaß dieses Werks zu rekonstruieren, wenn nicht sogar seiner Existenz bewusst zu werden, das zwar nach dem Krieg das größte des Landes war, nach den Fusionen mit Hörde und Hoesch aber zum Stiefkind des Konzerns wurde und in der öffentlichen Wahrnehmung trotz der prominenten Lage kaum vorkommt. Warmgewalzt wurde hier trotzdem noch, als die anderen Standorte schon abgewickelt waren. Manchmal sind die kleinen Zeichen die schönsten (und wirksamsten).

Und sonst? Computational Photography – From Selfies to Black Holes – allgemeinverständliche Übersicht über aktuelle Aufnahmeverfahren. Spoiler: Handys verrechnen Fotos, die vor Drücken des Auslösers aufgenommen wurden, Schwarze Löcher fotografiert man mittels Visualisierung von Messwerten, weshalb der Autor der zugehörigen Software von, genau, Rekonstruktion statt Aufnahme eines Bildes spricht: es gibt beliebig viele Bilder, die auf die Messwerte passen, und die Frage ist, welches man nimmt. Ist am Ende alles eine Rekonstruktion? // Unraveling the JPG. // Leute, die alte Filme anderer Leute entwickeln.

Text Haiko Hebig, Titelbild aus der Pixelprojekt-Serie Menschen im Hafen, Duisburg 1997, Regina Minwegen

Martin Parrs Foto-Retrospektive im NRW Forum ist bestes Entertainment

$
0
0

Barfuß in Sandalen, olivgrüne Hose, kariertes Halbarmhemd: so präsentiert sich Martin Parr (67) während der Pressekonferenz seiner Fotoretrospektive im NRW-Forum Düsseldorf.

Der vielleicht bekannteste lebende britische Fotograf konterkariert das Image seiner häufig im Existenzialisten-Look gekleideten Kollegen und hatte wohl auch mittels seines uneitlen Erscheinungsbildes leichten Zugang zu seinen rheinischen Fotomodellen: nicht etwa den üblichen Verdächtigen aus der Welt des Showbiz und der Medien, sondern zu „kleinen Leuten“. Kleingärtner*innen aus Düsseldorf und Krefeld samt ihrer Familien, die er mit 30 Fotos im NRW-Forum präsentiert. Das Lachen war ihnen verboten, so wirken sie denn tatsächlich ernsthaft und würdevoll.

Ausstellungsfoto.

Ausstellungsfoto/Hipstamatic: Hartmut Bühler

Dennoch ist auch diese Parr-Serie wie eine Gratwanderung zwischen Satire und Dokumentarfotografie. Einerseits rührt die Ernsthaftigkeit der Protagonisten, andererseits erfüllen sie auch Klischees, über die man sich gerne lustig machen würde. Aber Parr nimmt seine Parzellen Stars ernst, stellt sie nicht „bloß“. Im Gegenteil, er zeigt ein großes Herz für sie. Was fasziniert den weltläufigen Parr an der ‘kleinen Welt“ der Schreber? „Sie pflegen ihre Gemeinschaft, säen, ernten, arbeiten hart – das ist für mich der Inbegriff für menschliche Qualitäten in dieser unseren Welt, die vor unseren Augen zerfällt.“ Kein Zweifel, der Kleingarten ist für Parr ein Modell für eine funktionierende Welt.

Kurator Ralph Goertz: „Martin hat wie ein Flaneur die Gartenanlagen besucht und binnen weniger Minuten, aber dabei ganz entspannt und immer höflich, seine ein bis zwei Einstellungen und exakten Locations gefunden. Das alles innerhalb von vier Tagen.“ Eigens fürs NRW-Forum entstand die Kleingärtner-Serie, die 2018 im Großraum Düsseldorf fotografiert wurde. In diesem Zusammenhang gilt: ab sofort weltweit bekannt wird Gert Achermann vom Kleingartenverein Stoffeln. Sein Porträt ziert ein 8,2 x 11,4 cm Tütchen, dessen Inhalt aus Sonnenblumen-Saatgut besteht. Gibt´s als Zugabe zum Eintrittsticket der Ausstellung, die mit mehr als 400 Fotos als die bis dato umfangreichste Werkschau Parrs überhaupt gilt.

Ansicht Saatguttütchen.

Repro Saatguttütchen: Hartmut Bühler

MP gilt als einer der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Dokumentarfotografie und als Chronist unserer Zeit, der die Welt mit präzisem und liebevollen Blick abtastet und ihr gleichzeitig den Spiegel vorhält. Parrs Universum wirkt oft übertrieben, schrill, teilweise grotesk. Gepaart mit typisch englischen Humor lichtet er die Welt und die Menschen, die in ihr leben, in schillernden Farben ab. Aber er pflegt auch die Selbstironie: in der Serie „Bored Couples“ zeigt er neben tatsächlich gelangweilten Paaren auch sich und seine Partnerin als kommunikationsfreies Paar. Und in Selbstporträts emotionslos zusammen mit Scherenschnitten von Machthaber Putin, Arnold Schwarzenegger oder Fußballstar Messi. Aber auch solo als Astronaut, Scheich oder im Maul eines Hais.

„Wenn die Leute beim Betrachten meiner Bilder gleichzeitig weinen und lachen, dann ist das genau die Reaktion, die die Bilder auch bei mir hervorrufen. Die Dinge sind weder grundsätzlich gut noch schlecht. Ich bin immer daran interessiert, beide Extreme darzustellen.“

Ausstellungsfoto - Blick in Museumshop.

Ausstellungsfoto/Hipstamatics: Hartmut Bühler

Neben Arbeiten aus aufsehenerregenden Serien wie The last Resort, Think of England, Luxury, Life’s a Beach und Common Sense zeigt die Ausstellung in Düsseldorf erstmals auch Fotografien seiner schwarz-weißen Debüt-Serie Bad Weather. Passend hierzu kann im Museumsshop ein dekorativer Parr-Regenschirm erworben werden.

Die MP-Schau aus vier Jahrzehnten zeigt Parr nicht nur als Satiriker, sondern richtet den Fokus auf sein fotografisches Können und den ‘zeitgenössischen Umgang’ mit dem Medium Fotografie. Ralph Goertz: „Martin Parr ist weder Knipser noch Voyeur, sondern schlichtweg ein hervorragender Fotograf.“ Für seine Aufnahmen begibt sich MP, der seit 1994 der Agentur Magnum Photo angehört, auch an Lieblingsorte von Touristen. Beispielsweise nach New Brighton, St. Moritz, Venedig oder Chichen Itza, Macchu Picchu, Dubai. Mit dem Stilmittel der Übertreibung arbeitet er Klischees heraus und führt gerne die oft obszöne Selbstpräsentation oder das bizarre Konsumverhalten von Menschen vor Augen.

Foto vom Ausstellungsplakat.

Ausstellungsplakat. Foto: Hartmut Bühler

Zu Beginn seiner Laufbahn in den 1970er Jahren dokumentierte er die nähere Umgebung seiner Heimat in kontrastreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Anfang der 1980er Jahre verwendete er zunehmend Farbe, änderte seinen Stil und wechselte von einer 35mm Kleinbildkamera zur neuen Plaubel Makina 6×7 Mittelformatkamera. Sein 1982 begonnenes und 1986 erstmals veröffentlichtes Projekt The Last Resort, mit dem er das britische Strandleben in New Brighton dokumentierte, gilt heute als ‘Meilenstein’ der Fotografie und machte ihn international bekannt. Die berührenden wie oft verstörenden Aufnahmen zeigen den Alltag des britischen Seebads auf völlig neue Art und Weise. Sie hinterfragen den Begriff der Schönheit und untersuchen das Schöne im Hässlichen und das Hässliche im Schönen, stilistisch unterstützt durch das für Parr typische Blitzlicht bei Tageslicht. „The flash“ kommt bei ihm stets und bei jedem Wetter zum Einsatz. Für Details nutzt er einen Ringblitz.

Parr sammelt auch ‘alltägliche’ Fotos anderer. Ansichtskarten, Nippes, mit Bildern bedruckte Gegenstände und auffällig gestaltete Verpackungen. Diese Sammlungen sind Gegenstand mehrerer Bücher und Ausstellungen. Zu seinen Sammelobjekten gehören rund 13.000 Fotobände, Memorabilien über Margaret Thatcher, Sammelteller und Memorabilien über Saddam Hussein und Osama bin Laden. Sammeln und Fotografieren, so Journalist Alex Rühle in der Süddeutschen Zeitung (21.01.2012), seien für Parr wie zwei Seiten einer Medaille.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Ralph Goertz, Leiter des IKS – Institut für Kunstdokumentation, der im NRW-Forum bereits mit den Ausstellungen Joel Meyerowitz Retrospective oder Peter Lindbergh/Garry Winogrand: Women on Street vertreten war.

Öffnungszeiten im Ehrenhof 2 (bis 10. November):
Di-Do 11 – 18 h, Fr 11 – 21 h, Sa 10 – 21 h, So 10 – 18 h

Text und Hipstamatics: Hartmut Bühler

Ausstellungsfoto - Eingangsbereich mit Plakatwand.

Foto: Hartmut Bühler

Streifzug #4 vom 6. August 2019

$
0
0

Im Streifzug #4: die (Wieder-)Entdeckung von Dolf Toussaints Fotobuch “Zone Industrielle”.

Longwy, Lüttich, Duisburg

Es sind die Busse, die auf vielen Fotos auffallen. Reisebusse im Liniendienst, die Heerscharen von Industriearbeitern zur Schicht bringen oder abholen oder zwischendurch irgendwo abgestellt sind. Wo, das steht nicht dabei, und das ist auch die große Stärke des Buchs: Der niederländische Fotograf Dolf Toussaint (1924-2017) war zwischen 1983 und 1984 für ein Jahr in Lothringen, der Wallonie und an der Ruhr unterwegs und präsentiert die auch geographisch fast zusammenhängenden Regionen als Einheit, Kern der Europäischen Gemeinschaft, als große “Zone Industrielle”.

Vom stolzen Industriearbeiter aber ist nicht viel zu sehen. Fast keiner, Passant, Hausfrau, in den Bussen, hat noch zu lachen. Die Deindustrialisierung ist in vollem Gange, Tiefe und Breite der von ihr verursachten Brüche aber für die meisten noch nicht voll absehbar. Mit erschöpften Rohstoffvorkommen, beinharter Konzentration auf immer weniger, immer größere und immer automatisiertere Standorte, Wanderung des Kapitals in Finanzprodukte und Einführung der Marktideologie sind die Weichen gestellt für die völlige Umkrempelung ganzer Länder. Es sind Bilder aus der letzten Phase der gesellschaftsprägenden Kraft der Industriearbeit.

Toussaints Sympathien sind dabei offensichtlich: “Ich denke nicht an die Fotografie, wenn ich über die Schlachtfelder der europäischen Industrialisierung laufe. Ich sehe Überlebende, die bleiben und die Verlierer sein werden.” Diesen Menschen und ihrer Lebenswelt, ihren Arbeitsstätten, Wohnorten und Sozialstrukturen widmet er den größten Teil des Buchs, ohne Verklärung und ohne Häme. Longwy, Rombas, Esch, Duisburg, Lüttich, Oberhausen, Charleroi – manchmal wechselt der Spielort von Seite zu Seite.

Der Bruch dann so hart wie in der Wirklichkeit: Ratlose Gesichter auf Betriebsversammlungen, die Reihen noch geschlossenen, fruchtlose Proteste, Einzelne bereits abseits stehend, Werksruinen, zugewachsene Direktorenvilla, Immobilienmakler, Tierkadaver. “Erfolgreich gemeisterten Strukturwandel” fotografiert man anders herbei. Dass Toussaint dem noch ein Bild spielender Kinder folgen lässt, nimmt der Schlusssequenz allerdings von seiner Knackigkeit.

Die andere Seite der Geschichte verdichtet Toussaint in nur drei Fotos, die Menschen aus anderen Kreisen zeigen. Einer davon: Étienne Davignon, der 1970 den nach ihm benannten Davignon-Bericht zur Weiterentwicklung und politischen Einigung der Europäischen Gemeinschaften vorlegte und zum Zeitpunkt der Aufnahme Europäischer Industriekommissar war. Die Maßnahmen der Montanunion zur Abwetterung der Stahlkrise der 1980er trugen seine Handschrift. Toussaint zeigt Parallelen und Gemeinsamkeiten in den betroffenen Regionen und in den Gesichtern der Menschen. Damit weist er weit über den zeitlichen und räumlichen Bezug hinaus. Genauso bemerkenswert ist nur, in wie wenigen anderen Fotobüchern das bisher geschah. Vielleicht liegt das auch daran, dass das Projekt Europa selbst bereits brüchig geworden ist. Toussaint blieb seiner Haltung treu: er fotografierte politische Prozesse im Großen (im Parlament) wie im Kleinen, und auf der Seite derer, über die hinweg entschieden wird.

Dolf Toussaint - Zone Industrielle

Dolf Toussaint - Zone Industrielle

Aufnahmeorte

Zone Industrielle hat weder Bildtitel noch ein Bildindex. Einzig im Impressum findet sich der Hinweis, dass die Fotos 1983/84 “in Nordost-Frankreich, Südost- und Ost-Belgien und im Ruhrgebiet” aufgenommen worden sind. Mindestens eins stammt außerdem aus Luxemburg. Während es gerade die Stärke des Buchs ist, diese Regionen als Kontinuum darzustellen, kann es für nähere Analysen dennoch hilfreich sein, die Aufnahmeorte zu kennen. Den Großteil der Aufnahmeorte konnte ich bereits identifizieren: Zone Industrielle – Location Identifaction.

Dolf Toussaint – Zone Industrielle

Erschienen 1984 bei Fragment, Amsterdam. Gestaltung: Dick Breebaart. Text: Martin Schouten. Druck: Drukkerij Rosbeek, Nuth. Auflage unbekannt. 124 Seiten 21,2 x 26,4 cm, Softcover, mit 104 Schwarz-Weiß-Fotografien 24 x 16 cm. Es ist eine niederländisch-französische und eine englisch-deutsche Ausgabe erschienen. Titel: “Zone industrielle – Industriële zone” bzw. “Industrial Zone – Industrielle Zone”. Die bibliographischen Angaben stammen teilweise aus “The Dutch Photobook”, NAi Publishers 2012 – vielen Dank an Kim Bouvy. Das Buch ist antiquarisch erhältlich.

Text: Haiko Hebig

Ausstellungen im August

$
0
0

Ausstellungstermine sind ein heikles Feld – nie vollständig, schnell überholt und Herausforderung für recherchierende Faktenfuchser. Wir versuchen es trotzdem mit einem monatlichen Überblick zu Ausstellungen im Ruhrgebiet und darüber hinaus. ruhr.speak liefert den Service, angucken müsst Ihr selbst!

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 3.8.2019
„Neue Landschaften“ – Fotografien von Bettina Steinacker
Galerie Clowns & Pferde
Frankfurter Str. 33/Ecke Kölner Str.
45145 Essen / Frohnhausen
clownsundpferde.de

noch bis 14.8.2019
„Life in Cities“ – Fotografien von Michael Wolf
Urania Berlin
An der Urania 17
10767 Berlin
urania.de/life-cities

noch bis 21.8.2019
„nur fotografie – zwanzig künstler verbunden mit dem ruhrgebiet“ – Fotografien u.a. von Joachim Brohm, Susanne Brügger, Susan Feind, Ralf Grossek, Brigitte Kraemer und Walter Schernstein
Galerie Frank Schlag & Cie
Teichstr. 9
45127 Essen
german-modern-art.com

noch bis 25.8.2019
„Zuhause – Vonovia Award für Fotografie“ – Fotografien u.a. von Nanna Heitmann, Heiko Tiemann, Wolfgang Zurborn
Kunstmuseum Bochum
Kortumstr. 147
44777 Bochum
kunstmuseumbochum.de – Ausstellung

noch bis 29.8.2019
„kein Thema“ – Fotografien u.a. von Walter Schernstein
Galerie Rheinhausen Lehmbruck Museum
Händelstr. 6
47226 Duisburg
duisburg.de – Ausstellung

noch bis 15.9.2019
„Entgrenzte Bilder“ – Fotografien von Sarah Straßmann
Kunstverein Konstanz
Gerichtsgasse 9
78462 Konstanz
kunstverein-konstanz.de – Ausstellung

noch bis 20.9.2019
„Virtual Reality“ – Fotografien von Jasmine Shah
Kulturamt Bielefeld
Kavalleriestr. 17
33602 Bilefeld
https://kulturoeffner.de/events/event/1184

noch bis 28.9.2019
„Pixelprojekt_Ruhrgebiet – Neuaufnahmen 2018 / 2019“ – Fotografien von 18 Pixelprojektfotograf*innen
Wissenschaftspark Gelsenkirchen
Munscheidstr. 14
45886 Gelsenkirchen
wipage.de – Ausstellung

noch bis 24.11.2019
„Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980. Fotografie neu ordnen“ – Fotografien u.a. von André Gelpke und Petra Wittmar
Museum für Kunst und Gewerbe
Steintorplatz
20099 Hamburg
mkg-hamburg.de – Ausstellung

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 25.8.2019
„Rund um Zollverein“ Fotografien von Ulrich Weichert
Zeche Zollverein Areal A
Fritz-Schupp-Allee 14
45309 Essen
zollverein.de – Ausstellung

noch bis 8.9.2019
„Bühnenwelten“ Reihe Bauhaus am Folkwang
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
museum-folkwang.de – Ausstellung

noch bis 15.9.2019
„HOLLYWOOD ICONS“ Fotografien aus der John Kobal Foundation
LUDWIGGALERIE
Schloss Oberhausen
Konrad-Adenauer-Allee 46
46049 Oberhausen
ludwiggalerie.de – Ausstellung

1.9.- 18.10.2019
„Poperties of Human Beings“ Fotografien von Karin Applolonia Müller
Galerie Kunstwerden
Ruhrtalstr. 19
45239 Essen
kunstwerden.de – Ausstellung

noch bis 27.10.2019
„Melting Pott“ Fotografien von Till Brönner
MKM Museum Küppersmühle
Philosophenweg 55
47051 Duisburg
museum-kueppersmuehle.de

noch bis 25.2.2020
„Mensch und Tier im Revier“ Fotografien und anderes
Ruhr Museum
Gelsenkirchener Str. 181
45309 Essen
ruhrmuseum.de – Ausstellung

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 11.8.2019
„Mythos im Wandel – 250 Jahre Steinkohlebergbau in Europa“ – Konzeptuelle Fotografie
Kunstspeicher Schultenhof
Burgstr. 9
49497 Mettingen
muensterland.de – Ausstellung

noch bis 10.11.2019
„Martin Parr – Retrospektive“
NRW – Forum
Ehrenhof 2
40479 Düsseldorf
https://www.nrw-forum.de/ausstellungen/martin-parr

Brexit und Backstop – ein kursorischer Blick auf Fotoserien zur Nordirlandfrage

$
0
0

Streifzug #5 vom 20. August 2019

Troubled Land

No-Deal-Brexit, wie ihn Großbritanniens neuer Premier Boris Johnson anstrebt, oder nicht: die Brexit-Debatte reißt die irische Grenzfrage wieder auf. Die seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik würde zur EU-Außengrenze. Auch die Konfessionsgrenzen innerhalb Nordirlands geraten wieder ins Blickfeld. Themmuns, herausragende aktuelle Serie von Jens Schwarz dazu, daraus auch das Titelbild. Auch neu: An Englishman’s Search For The Irish Border von Tristan Poyser, und Field Notes from the Border. Grenzgänge vor dem Abkommen: Tony O’Shea – Border Roads 1990-1994.

Das Friedensabkommen bedeutet nicht, dass Nordirland nicht mehr segregiert wäre. Das Belfast Interface Project verzeichnet momentan 99 Peace Lines (PDF) in Belfast und 19 in anderen Orten, Tendenz leicht steigend – Zäune, Mauern, gesperrte Straßen, die auch immer wieder in Themmuns zu sehen sind. Abgebaut wurden in den 2000ern die Wachtürme mit superstarken Überwachungskameras über South Amagh: Donovan WylieBritish Watchtowers, aus dem Hubschrauber, und Jonathan OlleyCastles of Ulster, auf Polaroid.

Spuren: David Farrell – The Disappeared (1999-2015), Langzeitprojekt zu den 16 bzw. mittlerweile 18 Personen, die Disappeared worden sind und deren Leichen teilweise bis heute nicht gefunden wurden, Paul Grahams Klassiker Troubled Land, Willy Doherty.

Vom Paratrooper zum Fotografen: Stuart Griffiths – The Myth of The Airborne Warrior, Protest Girls, Soldiers, Gangs.

Stichwort Belfast und Schiffbau: Harland & Wollf ist pleite, aber die Stadt wird wohl immer mit einem dort gebauten Schiff verbunden bleiben: Buch Topography of the Titanic von Kai-Olaf Hesse. Harland & Wolff, das sind die großen gelben Kräne hinter der unübersehbaren Peace Line auf diesem Foto aus Themmuns.

Und: Revisiting Sutton Hoo: “Thinking about Britain’s deep past, I am always struck by how fluid and exotic it was. Our inheritance is nothing like the banal nationalism of the Brexiteers.”

Text: Haiko Hebig
Titelbild: Jens Schwarz

Aufruf: Parallelwelten – Fotoarbeiten zur Kinderarmut gesucht

$
0
0

Ausstellung im Wissenschaftspark Gelsenkirchen 6. Februar 2020 – 9. Mai 2020.


Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Deutschland entwickelt sich immer mehr zu einem Land der Superreichen und gleichzeitig der Superarmen.
2017 gibt es in Deutschland 1,365 Millionen Millionäre. 45 der reichsten Haushalte besitzen dabei so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Das durchschnittliche deutsche Nettovermögen lag bereits 2014 bei 214.500,- Euro. Die Tendenz ist steigend!

Auf der anderen Seite sind laut WSI_Kinderarmutsbericht (2017) 19,7 Prozent der Kinder in Deutschland und laut UNICEF –Studie (2017) 35 Prozent der Kinder im Ruhrgebiet von Armut betroffen. Wenn man genauer hinsieht, sind voraussichtlich manche Stadtteile insbesondere in der Emscherregion davon noch wesentlich härter betroffen als die Stadtteile im nördlichen münsterländischen Teil oder im südlichen Ruhrtal. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmannstiftung (2019) gilt Gelsenkirchen aktuell als ärmste Stadt Deutschlands. Keines der von Armut betroffenen Kinder ist für dieses Schicksal selbst verantwortlich und ein jedes hat ein besseres Leben verdient.

Fotografie hat nicht die Möglichkeit, diese Zahlen zu belegen. Jedoch kann das Medium dafür sorgen, dass man ein Gefühl dafür bekommt, was dieses Schicksal für jede/n einzelne/n bedeuten kann. Fotografie kann emotionalisieren, zum Denken anregen und im besten Fall zum Handeln animieren.

Die Ausstellung versucht durch Fotoarbeiten unterschiedlicher Bildautor*innen auf das Schicksal dieser Kinder hinzuweisen und ein politisches Klima, das nach Veränderungen schreit, zu fördern. Die Ausstellung versucht, nicht nur das Leid der betroffenen Kinder zu zeigen, sondern auch positive Beispiele von Engagement und Hilfen.

Einsendungen erwünscht

Hiermit bitte ich euch, mir Fotoarbeiten (Serien oder Einzelbilder) zu dem Thema zuzusenden, um so den Diskurs über die Zukunft unserer Gesellschaft in diesem Bereich zu befeuern. Gefragt sind nicht nur Bilder der Armut, sondern auch Bilder, die die Diskrepanz zwischen Arm und Reich zeigen, Initiativen, die sich mit Förderung von Kindern auseinandersetzen, Bilder die betroffen machen, aber auch nachdenklich, vielleicht sogar ein Lächeln produzieren oder Hoffnung geben.

Die Ausstellung ist nicht auf Bilder des Ruhrgebiets bzw. der Emscherregion beschränkt. Künstlerische, konzeptionelle und abstrakte Arbeiten sind ausdrücklich gewünscht, genauso wie journalistische und dokumentarische Ansätze.

Schickt mir die Bilder bitte bis zum 30. November 2019 in geringer Auflösung an peter.liedtke@bild.sprachen.de.

Das Urheberrecht für die Aufnahmen bleibt bei der Fotografin / beim Fotografen. Mit der Einsendung erklärt die/der Fotograf*in, dass sie/er die Rechte am eingereichten Bildmaterial besitzt.

Bis zum 15. Dezember werde ich eine Auswahl der Arbeiten für die Ausstellung treffen. Bis zum 31. Dezember benötige ich dann die Bilder in bester Auflösung für die Produktion der Fotos. Die Produktion der Fotos und die Rahmung wird durch Pixelprojekt_Ruhrgebiet übernommen. Die Bilder in der Ausstellung werden namentlich gekennzeichnet.

Die Bilder können nach dem Ende der Ausstellung im Wissenschaftspark Gelsenkirchen abgeholt werden.

Die Ausstellung wird durch die Diakonie Gelsenkirchen, dem Wissenschaftspark Gelsenkirchen, der Sparkasse Gelsenkirchen und der Stadt Gelsenkirchen gefördert.

Ich bin gespannt auf eure Bilder!

Peter Liedtke

Before Boris – ein weiterer Blick nach Großbritannien

$
0
0

Streifzug #6 vom 30. August 2019

Mit der zeitweiligen Schließung des Parlaments macht der neue britische Premierminister Boris Johnson seinem Ruf als No-Deal-Brexit-Hardliner alle Ehre. Auch die Liste der bisherigen Regierungschef ist nicht arm an polarisierenden Gestalten. Bis heute braucht nur der Name Thatcher zu fallen, um zuverlässig Alarm auszulösen:

Thatcher-Alarm

Fast beliebiges aktuelles Beispiel von Facebook

Kein Wunder: Während es bei der Deindustrialisierung des Kontinents letztlich keine Frage war, dass gewisse gesellschaftliche Standards gewahrt bleiben sollten, hatte Margaret Thatcher andere Ideen: “the biggest shift in politics in living memory“, Rückdrängung des Staates, Privatisierungen und Ausweitung des Marktprinzips ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Folgen, kurz: das ganz große Rad drehen. Dabei hatte es mit dem Begriff Neoliberalismus eigentlich so gut angefangen. Mehr noch: die sich “alternativlos” gebende “marktkonforme Demokratie” wurde zum Fahrwasser praktisch aller westlichen Regierungen seither. So sehen Sieger aus.

“There is no such thing as society”

Voraus ging ein jahrelanger nicht nur politischer Angriffskrieg gegen die britischen Gewerkschaften und gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer, für Thatcher “the enemy within”. Detailliert dargestellt ist der Schlachtplan im seinerzeit geheimen Ridley Report von 1977, heute (ausgerechnet) auf margaretthatcher.org abrufbar. Maximales Understatement im Hinweis, das Papier habe “considerable controversy” hervorgerufen. 1984 gelang in Orgreave die Arbeitnehmerseite zu spalten, der lange Winter erledigte den Rest. 170.000 Bergarbeiter in jahrelangem Streik, maximale vorausgeplante Polizeigewalt, 11.000 Festnahmen, 20.000 zum Teil schwer Verletzte, fünf Tote, hunderttausende Familien ohne soziale Sicherheit. Die damaligen tektonischen Verschiebungen haben bis heute Gültigkeit. Von ihrer Marginalisierung haben sich die Gewerkschaften nicht mehr erholt. Außer Randnotizen wie der Anerkennung im Jahr 2014, Thatcher habe die Öffentlichkeit “misled”, gab es nicht mehr viel zu gewinnen. Ausgewählte Fotoserien dazu:

Miners Strike, Brodsworth near Doncaster, 12.10.1984, © John Sturrock

Miners Strike, Brodsworth near Doncaster, 12.10.1984, © John Sturrock

Bergarbeiterstreik 1984/85: No Redemption von Keith Pattinson, auch im Roman GB 84 von David Peace // John Harris (PDF) und Artikel dazu // Martin Jenkinson: 1984-85 Miners’ Strike und Women Against Pit Closures // Pixelprojekt-Fotograf Michael Kerstgen: Coal not Dole // Dichte Zusammenstellung von Pressefotos // University of Glasgow: Containing, isolating, and defeating the miners (PDF) // University Of Winchester: The Ridley Plan to decivilise the working class (PDF) // New Statesman: How the miners’ strike of 1984-85 changed Britain for ever

Thatcher-Britain, die Troika: Chris Killip, Graham Smith und Martin Parr. Parrs Vorreiter Tony Ray-Jones sei an dieser Stelle auch erwähnt.

Klassiker: John DaviesThe British Landscape und Neo-Klassiker: Simon Roberts – Merrie Albion – Landscape Studies Of A Small Island // Wiederentdeckt: Tish Murtha // Aus der aktuellen Fotografen­generation: Theo SimpsonThe Land of the Day Before.

Thatcher Boys

Thatcher Boys: Chris Killip, Roger Tiley, Tish Murtha

Neue Publikationen von Chris Killip: Eine Serie von großformatigen Heften bei Ponybox, darunter Skinningrove und The Last Ships mit einer erweiterten Fassung der herausragenden Serie zum Ende des Schiffbaus an der Tyne, die auch im Folkwang-Museum zu sehen war, und Huddersfield 1974, ein kleines Heft bei Café Royal Books.

Ebenfalls bei Café Royal Books: John MyersThe End of Manufacturing. In deutlich umfangreicherer Form auch frisch als End of Industry bei RRB Photobooks erschienen – spannend.

Und: Peter Fryer – Coke to Coke. Während die meisten Arbeiten zu Werksschließungen und Deindustri­alisierungs­prozessen aus unterschiedlichen Gründen auf Phasen des Danachs beschränkt sind – mit Ausnahmen wie etwas Killips Last Ships oder Pirelli Work – zeigt Fryer sowohl das Davor als das Danach, mit angemessen hartem Schnitt.

Chateau Despair

Margaret Thatcher, © Lisa Barnard

Margaret Thatcher, © Lisa Barnard

Chateau Despair, Fotobuch von Lisa Barnard zum Tories-Hauptquartier der Thatcher-Zeit, mit vielen begleitenden Texten. 32 Smith Square heißt jetzt Europe House und beherbergt das Londoner Büro der Europäischen Kommission. Thematisch ergänzende Texte von Inke Arns und Jim Cambell in INDUSTRIAL on Tour, HMKV 2013.

Aberfan

In Wales fand die eigentliche Zäsur der Montanära bereits 1966 statt: beim Haldenrutsch von Aberfan kamen 116 Kinder in einer Grundschule und 28 Erwachsene ums Leben. Zwischen 1984 und 1990 ließ die Ffotogalerie die Region von Fotografen wie David Bailey, John Davies, Ron McCormick, Francesca Odell und Roger Tiley für The Valleys Archive aufnehmen. Es lohnt sich, das zugehörige PDF herunterzuladen. Die abgerutschte Halde gehörte zur 1989 geschlossenen Merthyr Vale Colliery. Deren Gelände wird seit 2009 neu erschlossen – u.a. mit einer neuen Grundschule. Auch 400 weitere Hektar Industriebrache bei Aberfan werden derzeit saniert, mit einem bemerkenswerten Finanzierungsmodell: Ein Privatunternehmen renaturiert das Gelände für die öffentliche Hand, die dafür nichts bezahlt. Im Gegenzug baut es vorher auf eigene Rechnung 11 Millionen Tonnen darunter liegende Esskohlen im Tagebau ab. Die Grube wurde 2007 eröffnet und soll 20 bis 30 Jahre lang laufen. Auch in Wales dauert die Abwicklung des Montanzeitalters also Jahrzehnte, mit vielen Möglichkeiten für fotografische Langzeitprojekte.

Und sonst?

Like all the best political and protest songs, The Eton Rifles has remained relevant over the decades.

Text: Haiko Hebig
Titelbild: Lisa Barnard


Ausstellungen im September

$
0
0

Ausstellungstermine sind ein heikles Feld – nie vollständig, schnell überholt und Herausforderung für recherchierende Faktenfuchser. Wir versuchen es trotzdem mit einem monatlichen Überblick zu Ausstellungen im Ruhrgebiet und darüber hinaus. ruhr.speak liefert den Service, angucken müsst Ihr selbst!

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 15.9.2019
„Entgrenzte Bilder“ – Fotografien von Sarah Straßmann
Kunstverein Konstanz
Gerichtsgasse 9
78462 Konstanz
http://www.kunstverein-konstanz.de/index.php/detailansicht/entgrenzte-bilder.html

noch bis 20.9.2019
„Virtual Reality“ – Fotografien von Jasmine Shah
Kulturamt Bielefeld
Kavalleriestr. 17
33602 Bielefeld
https://kulturoeffner.de/events/event/1184

noch bis 28.9.2019
„Pixelprojekt_Ruhrgebiet – Neuaufnahmen 2018 / 2019“ – Fotografien von 18 Pixelprojektfotograf*innen
Wissenschaftspark Gelsenkirchen
Munscheidstr. 14
45886 Gelsenkirchen
https://www.wipage.de/detail/termin/pixelprojekt-ruhrgebiet-ausstellung-der-neuaufnahmen-20182019/

noch bis 24.11.2019
„Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980. Fotografie neu ordnen“ – Fotografien u.a. von André Gelpke und Petra Wittmar
Museum für Kunst und Gewerbe
Steintorplatz
20099 Hamburg
www.mkg-hamburg.de/de/ausstellungen/vorschau/wolfgang-schulz.html

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 8.9.2019
„Bühnenwelten“ Reihe Bauhaus am Folkwang
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
www.museum-folkwang.de/nl/aktuelles/ausstellungen/aktuell/bauhaus-am-folkwang-buehnenwelten.html

noch bis 15.9.2019
„HOLLYWOOD ICONS“ Fotografien aus der John Kobal Foundation
LUDWIGGALERIE
Schloss Oberhausen
Konrad-Adenauer-Allee 46
46049 Oberhausen
www.ludwiggalerie.de/de/ausstellungen/aktuell/

1.9.- 18.10.2019
„Poperties of Human Beings“ Fotografien von Karin Appolonia Müller
Galerie Kunstwerden
Ruhrtalstr. 19
45239 Essen

Karin Apollonia Müller ‚Properties of human beings‘

noch bis 27.10.2019
„Melting Pott“ Fotografien von Till Brönner
MKM Museum Küppersmühle
Philosophenweg 55
47051 Duisburg
http://www.museum-kueppersmuehle.de/
noch bis 25.2.2020
„Mensch und Tier im Revier“ Fotografien und anderes
Ruhr Museum
Gelsenkirchener Str. 181
45309 Essen
https://www.ruhrmuseum.de/nc/sonderausstellungen/aktuell/sonderausstellung-detail/news/86/2019/july/08/

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 10.11.2019
„Martin Parr – Retrospektive“
NRW – Forum
Ehrenhof 2
40479 Düsseldorf
https://www.nrw-forum.de/ausstellungen/martin-parr
6.9.- 23.11.2019
„La Cucaracha“ Fotografien von Pieter Hugo
Galerie Priska Pasquer
Albertusstr. 18
50667 Köln

PIETER HUGO La Cucaracha Vernissage

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

20.9. – 10.11.2019
„Eine bessere Welt – unbedingt!“ Fotografien aus der Sammlung Michael Horbach
Willy Brandt Haus
Stresemannstr. 28
10963 Berlin
https://fkwbh.de/begleitendeveranstaltung/eine-bessere-welt-unbedingt

noch bis 3.10.2019
„gute aussichten“ – junge deutsche Fotografie
Deichtorhallen
Haus der Fotografie
20095 Hamburg
http://tor-zum-welterbe.de/kulturzentrum-festung-ehrenbreitstein/ausstellungen/gute-aussichten-junge-deutsche-fotografie-20182019/

noch bis 21.4.2019
„Greenpeace Photo Award“ Fotografien von Ian Willms und Pablo E. Piovano
f³ – freiraum für fotografie
Waldemarstr. 17
10179 Berlin

Greenpeace Photo Award

Maxhütte, materielles Erbe und: wer schreibt Geschichte?

$
0
0

Streifzug der Woche #7 zum Tag des offenen Denkmals

“Der Ausgangspunkt allen Historischens ist das, was übrig bleibt”
Achim Landwehr – Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit

Vertane Chance

Das Oxygenstahlwerk der Maximilianshütte im bayrischen Sulzach-Rosenberg ist seit Anfang Juli in Abriss. Was erstmal wie eine Regionale ohne Bezug zum Ruhrgebiet klingt, hat gravierende Auswirkungen auf die Industriedenkmalpflege in ganz Deutschland: Nach dem Abriss des Oxyenstahlwerks der Henrichshütte in Hattingen bot die Maxhütte die wohl letzte Möglichkeit, den Prozess der industriellen Stahlerzeugung aus Roheisen in Deutschland museal abzubilden und eine Anlage als technisches Denkmal zu erhalten. Was bei den vorlagerten und letztlich der Stahlerzeugung dienenden Prozessen Steinkohlenförderung, Steinkohlenverkokung und Roheisenerzeugung aus Eisenerz und Koks im Hochofen gelang, scheitert bei dem Ziel des Ganzen, der Erzeugung von Stahls eben aus Roheisen, wohl letztlich an mangelndem politischen Interesse.

Maxhütte Sulzbach-Rosenberg 1985

Maxhütte Sulzbach-Rosenberg im Maximalausbau nach dem Modernisierungsprogramm der 1980er Jahre. Alle Fertigungsschritte von der Roheisenerzeugung (hinten) bis zum Walzen (vorne) sind auf kleinem Raum eng verzahnt. Das Stahlwerk ist das flache Gebäude oben rechts mit den drei markanten Fackeln und den Rohrleitungen auf dem Dach.

Für eine Musealisierung des Oxygenstahlverfahrens kamen praktisch nur die Anlagen in Hattingen und Sulzbach-Rosenberg in Betracht, da sie nach heutigem Verständnis außerordentlich kompakt waren. Das zwischen 1974 und 1977 grundlegend erneuerte und 1983 durch eine Vorblock-Stranggießanlage substantiell erweiterte Sulzbacher Werk verfügte über drei nur 65 Tonnen fassende Konverter. Das Hattinger Werk hatte als historischer Sonderfall sogar nur einen Konverter, und obendrein ein Elektrostahlwerk, die Sekundärmetallurgie zur Weiterbehandlung der Schmelze und die Stranggießanlage im gleichen Gebäude. Zum Vergleich: die beiden Konverter bei Thyssen in Duisburg-Bruckhausen fassen jeweils 380 Tonnen und das Stahlwerk allein nimmt fast so viel Fläche ein wie der angrenzende Ortsteil – Dimensionen, die sich einer Erhaltung außerhalb des Produktivbetriebs entziehen. Auch die anderen sechs deutschen Werke sind nicht essentiell kleiner, und natürlich laufen sie auch alle auf noch unabsehbare Zeit.

Zur Stahlerzeugung wurde auf der Maxhütte das OBM-Verfahren (Oxygen-Bottom-Maxhütte) entwickelt, 1970 eingeführt und kurz darauf zum KMS-Verfahren (Klöckner-Maxhütte-Stahl) abgewandelt. Bei beiden wird im Gegensatz zum bekannteren LD-Verfahren der Sauerstoff, mit dem die nicht erwünschten Bestandteile des Roheisens zu Schlacke oxidiert werden, nicht von oben durch eine Lanze, sondern durch Düsen im Boden des Konverters von unten in die Schmelze eingeblasen. Da kein Lanzenturm benötigt wird, konnte nicht nur das vorhandene Thomasstahlwerk einfach umgerüstet werden. Auch beim jetzt in Abriss stehenden Neubau waren Hallenhöhe und somit Volumen vergleichsweise gering, aus Erhaltungssicht ein weiterer Pluspunkt.

Auch insgesamt war die Maxhütte mit ihrer teilweise außergewöhnlichen technischen Ausstattung und Integration auf kleinem Raum interessant. Bereits 2002 wurde daher u.a. von der LEG NRW und Karl Ganser ein Denkmalplan entwickelt. Die CSU hält einen “großflächigen Rückbau” aber für “unumgänglich”. Erste Aggregate wurden bereits 2003, Teile des Stahlwerks ab 2016 demontiert.

Erhalten werden soll wieder ein einzelner Hochofen, obwohl die Roheisenerzeugung bereits umfassend dokumentiert ist. Fünf der sechs Öfen des Hochofenwerks wurden bereits abgerissen. Mit der Szenerie zu Betriebszeiten hat der heutige Anblick wenig zu tun. Interessant sind vor allem die oben abgeschnitten Winderhitzer links im Bild. Mit solchen Maßnahmen wurden zu Zeiten von EG-Stahlquoten die Einhaltung von Stilllegungen sichergestellt.

Die Geschichte der Maxhütte kann auch im gesamtdeutschen Maßstab als bunt bezeichnet werden und ist eng mit den schillernden Namen Friedrich Flick und Max Aicher verbunden. Ab den 1970er Jahren mischte praktisch die gesamte deutsche Branche mit. Obwohl in der sich 20 Jahre ziehenden Schlussphase zweitweise sogar der Freistaat Bayern bis zu 45% der Anteile am Werk hielt, war im September 2002 in der strukturschwachen Region auch für die verbliebenen 850 der zuvor mehr als 4.500 Beschäftigten Schicht. Gewinnung und Verhüttung von Eisenerz ist in der Region seit dem Jahr 1305 nachgewiesen, sie gilt als das “Ruhrgebiet des Mittealters”. Auch der rasante Aufstieg Nürnbergs im 14. und 15. Jahrhundert ist eng mit dem Oberpfälzer Eisenerzbergbau verknüpft.

In ihrem Aufsatz in der Fachzeitschrift Denkmalpflege in Westfalen-Lippe (PDF) beschreibt die Denkmalpflegerin Imme Wittkamp detailliert das Hattinger Stahlwerk, beklagt dessen Abriss als großen Verlust und setzt ihre Hoffnung auf die Maxhütte. Auch die wurde nun enttäuscht.

Tagungen, Sendungen, Bücher

Welche Anlagen und Bauwerke wie, wann und warum erhalten oder abgerissen, verwertet oder entwertet werden, ist auch Gegenstand zahlreicher Tagungen und Konferenzen. Genau passend das Thema von Big Stuff 2019: Preserving large industrial objects in a changing environment (PDF). Um Materielle Kulturen des Bergbaus geht es bei der montan.dok-Konferenz im Dezember. Und “hat die Denkmalpflege überhaupt eine echte Chance gegen den Veränderungs- und Verwertungsdruck von altindustriellen Anlagen? Und was bleibt dann von den Denkmälern übrig? Wie gut tut Industriekultur den Industriedenkmälern? Wie erinnert man sich in der Eventlocation, im Büro oder in der Kletterhalle an die industrielle Vergangenheit?” waren die Leitfragen der Jahrestagung der Landesdenkmalpfleger 2016. Markant die Unterscheidung zwischen Denkmalpflege und Industriekultur. Es ist ein Tagungsband (Vorschau-PDF) erschienen.

Welche Möglichkeiten zum Erkenntnisgewinn technische Denkmäler – oder auch materielle Hinterlassenschaften im breiteren Sinne – bieten können, hat Rainer Slotta im weiterhin lesenswerten Büchlein Einführung in die Industriearchäologie bereits 1982 knapp und präzise zusammengefasst. Er beschreibt das technische Denkmal als Informationsträger und “Ergebnis und Summe der Kultur- und Umwelteinflüsse”. Es kann “wesentliche Aufschlüsse über Wirtschaft und Ökonomie, Technik, Geschichte, Kunst, Religion, naturwissenschaftliche Verhältnisse, über Ökologie, Klima und Botanik, über Geologie und schließlich über soziale Verhältnisse” und ihre “Abhängigkeit von- und zueinander” vermitteln – kurz, man kann damit die ganze Welt aufschließen. Als Einführungsbeispiel bringt Slotta die hier schon erwähnte Grube Dr. Geier.

Industriekultur hingegen kann als große, vergleichsweise monolithische kollektive Erzählung verstanden werden. Was die mit dem Gedächtnis der einzelnen Menschen macht, untersucht Katja Artsiomenka in ihrer WDR-Sendung Familiengedächtnis, verfügbar bis zum 6. November. Sie bezieht sich dabei auf Didier Eribons Sicht, das Bürgertum erzähle seine Geschichte selbst, “das Familiengedächtnis der Arbeiter hingegen findet sich in Museen, Anekdoten und Mythen über Heldentaten, überall dort, wo es als kollektive Erinnerung” von anderen “zur Schau gestellt werden kann”.

Text: Haiko Hebig
Foto und Titelbild: Sammlung Haiko Hebig

Ganz lange, ganz langsam: Marc Steculorum

$
0
0
Streifzug der Woche #8 vom 14. September 2019

Marc Steculorum

Marc Steculorum: Rupel 1983-7 (1/2)

Marc Steculorum: Rupel 1983-7 (1/2)

Marc Steculorum: Rupel 1983-7 (2/2)

Marc Steculorum: Rupel 1983-7 (2/2)

Alles geht ganz lange und ganz langsam, und plötzlich sieht die Welt ganz anders aus – Fotografen, die sich mit Entwicklungen, Bedingungen und Zuständen von Räumen, Orten und Gesellschaften befassen, kennen das. Fotografie kann sich mit solchen Prozessen erstaunlich schwer tun. Die Zusammenschau von Fotos aus einem großen Zeitraum, wie sie eine Sammlung wie das Pixelprojekt ermöglicht, ist ein Lösungsansatz, ein anderer: der lange Blick wie der des belgischen Fotografen Marc Steculorum hier in Rupel 1983-1987. Weitere Serien: Binnenland, A12, Wielervolk und Glory Days, Buch Whereabouts.

Und sonst?

Die Erfindung des Westens – neues Buch von Ulf Erdmann Ziegler über den Fotografen Will McBride und die alte BRD, Vorstellung am 24. Oktober im Folkwang-Museum.

Text: Haiko Hebig
Fotos: © Marc Steculorum

Ausstellungen im Oktober

$
0
0

Ausstellungstermine sind ein heikles Feld – nie vollständig, schnell überholt und Herausforderung für recherchierende Faktenfuchser. Wir versuchen es trotzdem mit einem monatlichen Überblick zu Ausstellungen im Ruhrgebiet und darüber hinaus. ruhr.speak liefert den Service, angucken müsst Ihr selbst!

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 26.10.2019
„StadtBild“ – Fotografien von Vitus Saloshanka
1822-Forum
Fahrgasse 9
60311 Frankfurt am Main
frankfurt-live.com – Ausstellung

noch bis 13.10.2019
„MANUFACTUM Staatspreis NRW 2019“ – u.a. Fotografien von Dirk Krüll
MAKK – Museum für angewandte Kunst Köln
An der Rechtschule
50667 Köln
museenkoeln.de – Ausstellung

3.10 – 24.11.2019
„Grenzfall“ – Fotografien von Norbert Enker
Kirchplatz in Damme
49401 Damme
damme.de – Ausstellung

2.10.2019 – 7.6.2020
„Entspannt euch! Freizeit im Ruhrgebiet“ – Fotografien aus der Sammlung des Pixelprojekt_Ruhrgebiet von Brigitte Kraemer, David Klammer und Dirk Krüll
St. Antony-Hütte
Antoniestraße 32-34
46119 Oberhausen
industriemuseum.lvr.de – Ausstellung

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 8.9.2019
„Laslo Moholy-Nagy“ Reihe Bauhaus am Folkwang
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
www.museum-folkwang.de – Ausstellung

noch bis 27.10.2019
„Italienbilder“ Fotografien von Rosanna DÓrtona, Francesca Magistro, Luisa Zanzani
Projektraum Fotografie
Huckarder Str. 8-12
44147 Dortmund
projektraumfotografie.de

noch bis 18.10.2019
„Poperties of Human Beings“ Fotografien von Karin Applolonia Müller
Galerie Kunstwerden
Ruhrtalstr. 19
45239 Essen
kunstwerden.de – Ausstellung

noch bis 27.10.2019
„Melting Pott“ Fotografien von Till Brönner
MKM Museum Küppersmühle
Philosophenweg 55
47051 Duisburg
museum-kueppersmuehle.de

10.10.2019 – 25.1.2020
„Am den Rändern der Seidenstrassen – Fotografien aus Pakistan, China, Kirgisistan und Usbekistan von Eckhard Gollnow“
Wissenschaftspark Gelsenkirchen
Munscheidstr. 14
45886 Gelsenkirchen
wipage.de – Ausstellung

noch bis 25.2.2020
„Mensch und Tier im Revier“ Fotografien und anderes
Ruhr Museum
Gelsenkirchener Str. 181
45309 Essen
ruhrmuseum.de – Ausstellung

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 10.11.2019
„Martin Parr – Retrospektive“
NRW – Forum
Ehrenhof 2
40479 Düsseldorf
nrw-forum.de – Ausstellung

noch bis 23.11.2019
„La Cucaracha“ Fotografien von Pieter Hugo
Galerie Priska Pasquer
Albertusstr. 18
50667 Köln
priskapasquer.art – Ausstellung

noch bis 9.2.2020
„Hochbunker“ – Fotografien von Boris Becker
Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur
Im Mediapark 7
50670 Köln
photographie-sk-kultur.de – Ausstellung

noch bis 8.3.2020

„The look of sound“ – Fotografien von Norman Seef
MAKK – Museum für angewandte Kunst Köln
An der Rechtschule
50667 Köln
museenkoeln.de – Ausstellung

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 3.10.2019
„gute aussichten“ – junge deutsche Fotografie
Deichtorhallen
Haus der Fotografie
20095 Hamburg
tor-zum-welterbe.de – Ausstellung

noch bis 30.10.2019
„The Golden Age of Rock´n Roll“ – Fotografien von Volker Hinz, Astrid Kirchherr, Günter Zint
Kulturbäckerei
Dorit-von-Stern-Str. 2
21337 Lüneburg

kulturbaeckerei-lueneburg.de -Ausstellung

noch bis 3.11.2019
„Neuland 1989-1999“ – Fotografien von Claudio Hills
Städtische Galerie Alte Schule
Schulhof 4
72488 Sigmaringen
kuku-sigmaringen.de – Ausstellung

noch bis 3.11.2019
„Greenpeace Photo Award“ Fotografien von Ian Willms und Pablo E. Piovano
f³ – freiraum für fotografie
Waldemarstr. 17
10179 Berlin
fhochdrei.org – Ausstellung

noch bis 10.11.2019
„Eine bessere Welt – unbedingt!“ Fotografien aus der Sammlung Michael Horbach
Willy Brandt Haus
Stresemannstr. 28
10963 Berlin
fkwbh.de – Ausstellung

noch bis 30.11.2019
„Unseen“ – Fotografien von Robert Frank
c/o Berlin
Hardenbergstr. 22-24
10623 Berlin
co-berlin.org – Ausstellung

Den Fesseln der Zeit entfliehen

$
0
0

Donata Wenders ‘Photographien’ in der Neuen Galerie Gladbeck

“Die Wahrheit ist nicht das, was du vor dir siehst” und “Die Fesseln der Zeit sind überall” lauten zwei Zeilen aus dem Gedicht ‘Wahrheit’ von Guido Brivio di Bestagno (*1971, italienischer Philosoph).

Was passt treffender auf das Medium Fotografie als diese beiden Zitate des di Bestagno-Gedichts ‘Wahrheit’, das Fotografin Donata Wenders zur Inspiration ihres Vier-Minuten-Videos „Truth Passes Through The Creases Of Time Like Water Through Your Fingers“ gewählt hat. Und die sogenannte Wahrheit wird bekanntlich für jede Fotografin, jedem Fotografen entweder zum Gegner oder Komplizen.

Donata Wenders "Photographien" in Gladbeck - Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Donata Wenders “Photographien” in Gladbeck – Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Die Neue Galerie Gladbeck ist wie ein Geschenk für die Kunst- und Kulturszene im Ruhrgebiet. Wer durch die Galerietür in der Bottroper Straße 17 tritt, verlässt die hektische Realität des Alltags und taucht ein in eine kontemplativ-sinnliche Atmosphäre. In den fast sakralen Räumen scheint der Faktor Zeit eine untergeordnete Rolle zu spielen.

Auch die Fotos von Donata Wenders sind ein Geschenk für die Augen. Vordergründig Eindeutiges gibt es in ihren Porträts und Stills nicht zu sehen: die gezeigten Motive werden durch eine akzentuierte Lichtregie mit zusätzlicher Magie ‘aufgeladen’.

Donata Wenders "Photographien" in Gladbeck - Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Donata Wenders; Tallulah, Boston, 2018, Photogravüre – Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Das Starporträt à la Norman Seeff – zu sehen im MAKK Köln bis 08. März 2020 – ist Wenders Sache nicht. ‘Die Menschen, die ich fotografiere … entscheiden, was sie mir geben.’ Es sind liebevolle Blicke einer Künstlerin auf meist prominente Freunde und Freundinnen, die Wenders vertrauen. Auch Glamour beeindruckt DW nicht.

Ihre Modelle sind zwar häufig Persönlichkeiten des Rampenlichts, jedoch ist sie an Posen oder Starkult nicht interessiert. DW-Fotos ‘führen den Betrachter fernab zeitlicher Zuordnung in eigene Assoziationsräume. Viele ihrer Bilder übersetzen eine innere Geschichte … in eine sichtbare Welt’ … (Anna Duque y Gonzáles de Durana, Kunsthistorikerin).

Donata Wenders "Photographien" in Gladbeck - Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Donata Wenders “Photographien” in Gladbeck – Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Neben den Photographien sind in der Neuen Galerie drei filmische Installationen zu sehen: ‘James Reading – Reading James’ mit dem literatursüchtigen US-Schauspieler und Regisseur James Franco, ‘Truth’ und ‘Through My Window’ mit Schauspielerin Arijana Antunovic.

Fotograf Peter Lindbergh über die Fotografin und Ehefrau von Regisseur Wim Wenders: „Donata sieht Dinge, die wir nicht sehen. Ihr Licht, ihr tiefes Schwarz und die feinen Graustudien in ihren Bildern zeigen, wie schön es in ihrem Inneren aussehen muss. Ihre Offenheit allem gegenüber lässt uns ahnen, was es braucht, um Bildern eine solche Poesie zu geben.“ (DIE ZEIT-online, 23. Dezember 2014)

Etwa 50 fotografische Arbeiten, meist Silbergelatineabzüge auf Barytpapier (Bildmaße meist 40×60 cm)
bis zum 01. November
Mi – So von 15 – 20 Uhr

Neue Galerie Gladbeck
Bottroper Straße 17
galeriegladbeck.de – Ausstellung Donata Wenders

Text und Aussstellungsfotos: Hartmut Bühler
Photographien: Donata Wenders

Donata Wenders "Photographien" in Gladbeck - Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Donata Wenders “Photographien” in Gladbeck – Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Donata Wenders "Photographien" in Gladbeck - Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Donata Wenders, Time to Read. Aus der Serie James Reading – Reading James. Foto links: Gariné Torossian, Montreal 2014 Montreal, 2013/14 – Silbergelatineabzüge auf Barytpapier. Donata Wenders “Photographien” in Gladbeck – Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Donata Wenders "Photographien" in Gladbeck - Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Donata Wenders “Photographien” in Gladbeck – Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Straße mit Plakatwerbung vor dem Ausstellungsraum. Foto: Harmut Bühler

Foto: Harmut Bühler

Eckhard Gollnow – An den Rändern der Seidenstraßen

$
0
0

120 Fotos wie aus 1000undeiner Nacht im Wissenschaftspark Gelsenkirchen

Fantastisch, urteilt eine Besucherin, die mit ihrem Ehemann aus Dortmund angereist war. Begeistert äußert sich auch eine Fotodesignerin aus Oberhausen angesichts der ‘Tausendundeine Nacht’-Motive der Fotoausstellung ‘An den Rändern der Seidenstraßen’ des Essener Fotografen Eckhard Gollnow.

Stimmt, die Motive gold schimmernder Moscheekuppeln und magischer Minarette machen auf sich aufmerksam. Diese Hingucker zählen zu jenen etwa 5.800 Aufnahmen, die Gollnow (81), ehemals Werkstattleiter des Farblabors der Folkwangschule – heute Folkwang Universität der Künste -, 2018 während einer fünfwöchigen Reise durch den mittleren Orient und Asien aufgenommen hat.

120 ausgewählte Motive sind in der aktuellen Bilderschau im Gebäude Wissenschaftspark Gelsenkirchen zu sehen.

Kuppel der Sher-Dor Koranschule in Samarkand. Foto: Eckhard Gollnow

Kuppel der Sher-Dor Koranschule in Samarkand. Foto: Eckhard Gollnow

Mir waren 120 Fotos zu viel, eine strengere Auswahl wäre zielführender gewesen. Wenig informativ sind die unvorteilhaft angebrachten Bildlegenden für mehrere Fotos auf achtlosen Notizzetteln in winziger Schrift. Wer die längste Fotogalerie im Ruhrgebiet betritt, hat die Wahl, entweder zuerst die 60 Fotos links oder die 60 Motive rechts zu betrachten.

Wer mit der rechten Hälfte beginnt, fragt sich nach wenigen Bildern, ja wo genau steht denn diese Moschee, wo ist diese spektakuläre Landschaft aufgenommen? Manko: eine Landkarte mit Reiseweg wird nicht gezeigt.

Teppichknüpferinnen in Usbekistan. Foto: Eckhard Gollnow

Teppichknüpferinnen in Usbekistan. Foto: Eckhard Gollnow

Die findet der Besucher dann auf der linken Ausstellungshälfte. Und auch erst nach mehreren Fotos und in unauffälligem Format. – Straßen und Orte der legendären Seidenstraßen in Pakistan, China, Kirgisistan und Usbekistan: Vor etwa 2500 Jahren entstand dann im Verlauf der Jahrhunderte ein Netz von Karawanenstraßen von China bis ans Mittelmeer.

Weil Seide im Westen die begehrteste Handelsware war, wurden diese Wege als Seidenstraßen benannt. Ähnlich wichtig waren lange Zeit Glas und Papier aber auch Gewürze, Porzellan, Gold und Silber. Auch die Architektur, Kunst und Kulturen, Wissenschaften, Philosophien und Religionen wanderten mit den Karawanen.

Historische Oasenstadt Khiva in Usbekistan (Weltkulturerbe). Foto: Eckhard Gollnow

Historische Oasenstadt Khiva in Usbekistan (Weltkulturerbe). Foto: Eckhard Gollnow

Anknüpfend an den alten Namen Seidenstraße werden viele aktuelle Projekte als „Neue Seidenstraße“ bezeichnet und sind mit vielen Hoffnungen verbunden. Unter der Bezeichnung One Belt, One Road werden seit 2013 Projekte gebündelt, die Interessen und Zielen der Volksrepublik China zum Auf- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastruktur-Netze dienen.

Besonders Duisburg, am Ende der 11000 Kilometer langen Route gelegen, ist als wichtiger Logistikknoten Ziel von chinesischen Investitionen. Der Hafen Duisburg plant bzw. entwickelt selbst Logistik-Investitionen an der Neuen Seidenstraße.

Sie bauen ihre Moschee in Andijan in Usbekistan beim Mittagstisch. Foto: Eckhard Gollnow

Sie bauen ihre Moschee in Andijan in Usbekistan beim Mittagstisch. Foto: Eckhard Gollnow

Interessant noch eine Facette fotografischer Art: Die FH Dortmund hat Studenten des Fotokollektivs DOCKS nach Ulaanbaatar, früher Ulan Bator/Mongolei, geschickt, um vor Ort an der Partner-Hochschule Workshops durchzuführen.

Mehr Infos: wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet – Workshop

Die Badshahi Moschee in Lahore in Pakistan. Foto: Eckhard Gollnow

Die Badshahi Moschee in Lahore in Pakistan. Foto: Eckhard Gollnow

„Dem Fotografen gelingt es, mit seiner Arbeit, die Träume, die sich mit den Märchen aus 1001 Nacht, aber auch mit den Werken von Karl May bis Hermann Hesse, verbinden, in Bilder zu formen, die uns neugierig machen und uns fremde Menschen und Kulturen näher bringen“, so Peter Liedtke, Kurator der Fotografieausstellungen im Wissenschaftspark.

Dem habe ich, ein Fan des venezianischen Händlers und Weltreisenden Marco Polo (1254-1324), nichts hinzuzufügen. Städtenamen wie Bukhara, Samarkand, Taschkent/alle Usbekistan sowie Peschawar und Lahore/Pakistan zaubern mir ein Leuchten in die Augen. Leider aber vor Ort im Wipage verbunden mit Tränen: warum wurden für die meisten Fotos schwarze Passepartouts gewählt?

Bis 25. Januar 2020
Wissenschaftspark Gelsenkirchen
Munscheidstraße 14

Montag bis Freitag, 7.00 -18.00 Uhr
Samstag, 7.30 – 15.00 Uhr

wipage.de

Fotos: Eckhard Gollnow
Text: Hartmut Bühler

Thomas Seelig – Schauen und Entdecken. Möglichkeiten und Grenzen der digitalen Sichtbarkeit in der Fotografie

$
0
0

Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung Neuaufnahmen 2019 von Pixelprojekt Ruhrgebiet am 11. Juli im Wissenschaftspark Gelsenkirchen.

Um Pixelprojekt_Ruhrgebiet in seiner Einmaligkeit in der Landschaft fotografischer Langzeitprojekte zu verstehen, muss man sich die Struktur der Website und der Organisation anschauen, die seit ihrem Launch 2003 auch gestalterisch fast unverändert geblieben ist.

Gründungsidee – ein unhierarchisches Forum

Vor gut 16 Jahren wurde das Projekt von Peter Liedtke ins Leben gerufen und noch heute, im Jahr 2019, kann man die Gründungsidee erahnen, ein kostenloses und unhierarchisches Forum für selten ausgestellte und publizierte Fotografien des Ruhrgebiets zu sein. Nicht mehr so einfach zu rekonstruieren dürften die Ausgangslage von Pixelprojekt_Ruhrgebiet in den Zeiten seiner Gründung sein, welche damaligen digitalen Infrastrukturen vorhanden waren, sowie die Fragen des technologischen Fortschritt im Allgemeinen, die auf Produzenten- wie auf Vermittlerseite thematisiert wurden.

Nur zu gut erinnere ich mich an Diskussionen mit Fotografen und Fotografinnen und das fast schmerzvolle Abwägen, ob eine digitale Präsenz in Form einer Website förderlich oder schädlich für die eigene Arbeit sei. Noch stellte nicht jede/r Bildautor oder -autorin seine oder ihre Werkgruppen mit Lebenslauf und Kontaktadresse auf einer eigenen Website ins Netz.

In diesem Sinne mussten die Regeln noch geschrieben, respektive die Herausforderungen und Möglichkeiten durch trial and error erlernt und erfahren werden. Es wurde beispielsweise der Verlust an Kontrolle über die Kontexte der eigenen Arbeit bemängelt. Dies lange bevor wir uns alternativlos und mit viel grösseren Folgen mit den Reichweiten und Nutzungsbedingungen von Social Media Plattformen wie Facebook oder Instagram einverstanden erklärt haben.

In gewisser Weise war der Weg der Digitalisierung vorbestimmt, auf dem Bildrechte und kommerzielle Verwertungen auf den digitalen Kanälen für Einzelpersonen immer schlechter realisierbar waren. Auf der anderen Seite kauften global agierende Bildagenturen wie Getty Images in grossem Masse Bildrechte von historischen und aktuellen Beständen auf, um die Bilder exklusiv zu vermarkten.

Nachhaltiges Wirken abseits der Verwertung

Wie behauptet sich nun ein Projekt wie das hiesige, das im idealistischen Sinne ohne kommerzielle Hintergedanken eine Öffentlichkeit für Fotografie herstellt? Und wie unterscheidet es sich beispielsweise von Sammlungen Online von Kunst- und Fotomuseen? Im Rückblick kann man feststellen, dass gerade der Weg abseits der Verwertung ein nachhaltiges Wirken ermöglicht hat.

Die Bildautorinnen und -autoren stellten und stellen ihre Werke und Werkgruppen gern in einen kulturellen Kontext, der zwischen Datenbank und Online-Ausstellung angesiedelt ist. Anders als die grossen staatlich geförderten Projekte wie beispielsweis der Farm Security Administration (FSA) der 1930er Jahre in den USA oder dem topografischen Dokumentationsprojekt DATAR im Frankreich der 1980er Jahre, existieren die Werke von Pixelprojekt_Ruhrgebiet bereits.

Sie sind teils über mehrere Jahre von den Fotografinnen und Fotografen aus Eigenmotivation und ohne substanzielle Unterstützung von anderer Seite entstanden und finden den Weg aus den Fotoschachteln der Archive auf die Festplatte des Projekts.

Jährliche Ausstellungen als Treffpunkt von Personen und Positionen

Die jährlichen Ausstellungen in Form physischer Neuzugänge sind ein möglicher Weg zur Öffentlichkeit, der räumlich und zeitlich begrenzt ist und der dennoch eine wichtige Funktion erfüllt; nämlich den des Treffpunks und des Austauschs aller Mitwirkenden. Hier treffen historische Positionen, abgezogen auf schwarz/weissem Barythpapier beispielsweise, auf neueste Produktionen, die wahrscheinlich digital fotografiert, bearbeitet und ausgedruckt wurden.

Formate und Papiere wechseln sich ab und belegen die unendliche Vielfalt fotografischen Schaffens der letzten Jahrzehnte. Eine Pixelprojekt_Ruhrgebiet-Ausstellung erzählt neben den Fotogeschichten zum und über das Ruhrgebiet immer auch die Materialgeschichte des Mediums selbst.

Pixelprojekt im Web eröffnet verschiedene Lesewege

Mit der Eröffnung der jährlichen Ausstellung gehen auch die Bildserien online. Durch die Gliederungen nach Zeiten, Orten und Themen sowie der Auszeichnung der aktuellen Neuzugänge stehen den Nutzern von nun an verschiedenste Lesewege offen.

Im digitalen Raum eröffnen sich den Fotografinnen und Fotografen standardisierte Möglichkeiten der Präsentation. Neben einer für die jeweilige Serie angemessenen Breite von Bildern begleiten die Positionen biografische und projektbezogene Informationen.

Einer der wichtigsten Aspekte beim Schauen und Entdecken ist die Verknüpfung von Inhalten, die in den letzten 16 Jahren aufgeladen wurden und die sich je nach Interesse der Betrachtenden immer wieder neu sortieren.

Digitales Archiv ist Garant für Vitalität

Im Gegensatz zu Fotografie im musealen Kontext fokussiert das Pixelprojekt_Ruhrgebiet allein auf die Speicherung und Verfügbarkeit der digitalen Inhalte. Die Bildserien verbleiben nach den Ausstellungen bei den Fotografinnen und Fotografen und verlangen keine kostenintensiven Überlegungen zur Langzeitarchivierung der fotografischen Abzüge. Während sich also ein Museum über den Erwerb, den Besitz und die Archivierung seiner physischen Abzüge einer digitalen Präsenz annähert, liegt die Grundidee von Pixelprojekt_Ruhrgebiet genau auf der anderen Seite des Spektrums.

Es ist und bleibt vital, weil es ideell von den Fotografinnen und Fotografen sowie von Peter Liedtke als Initiator und Motor getragen wird und mit einem vergleichsweise kleinen Budget in die (digitale) Zukunft geführt wird.

Anders als beim Publizieren von Büchern und Katalogen erlaubt die digitale Plattform den Betreibern von Pixelprojekt_Ruhrgebiet, sich nicht aufgrund von produktionsbedingten Kosten beschränken zu müssen. Bildserien werden ihrer Tiefe und ihrem Umfang entsprechend ausgewählt und online gestellt.

Reiche und gut strukturierte fotografische Inhalte sichern Zukunft

Man wünscht dem Projekt für die Zukunft, dass diese digitale Form des Publizierens und das Schaffen einer breiten und manchmal auch abstrakten Öffentlichkeit weiterhin möglich sein wird. Die Struktur, die Peter Liedtke dem Projekt 2003 an die Hand gegeben hat, trägt entscheidend dazu bei.

Wichtigstes Gut der Plattform sind die vielfältigen und thematisch reichen Inhalte der Fotografinnen und Fotografen, die den Besuch der Website auf jeden Fall lohnenswert machen. Überzeugend an der Struktur ist, dass die Inhalte und damit die Kontexte mit jedem Jahr wachsen.

Die Vielzahl der jährlichen Bewerbungen fast jeder Generation von Bildermachern zeigt, dass es jenseits der Präsenz auf der eigenen Homepage eben auch darum geht, in den richtigen Kanälen und einer passenden Nachbarschaft gezeigt und präsentiert zu werden.

Thomas Seelig ist Leiter der Fotgrafischen Sammlung Museum Folkwang in Essen.


Révolut

$
0
0

Im Streifzug der Woche: eine Handlungsaufforderung

Révolut

Maschinell erfasste Handlungsaufforderung an einem Hochofenwerk in Lüttich, manuell aufgebracht nach der Stilllegung durch ArcelorMittal im Jahr 2011.  Eine weitere Handlungsaufforderung steht seither am Haupttor, ein nicht so frommer Wunsch in der Stadtmitte. In der Stilllegungswelle Anfang des Jahrzehnts hat ArcelorMittal die letzten integrierten Hüttenwerke im Landesinneren Belgiens und Frankreichs geschlossen und damit die in den Nachkriegsjahren begonnene Verlagerung aus den Städten an Küstenstandorte vollendet.

Weiterer Streifzug dazu: Ganz lange, ganz langsam
Text und Screenshots: Haiko Hebig

 

 

 

 

 

 

„Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so“

$
0
0

Im Streifzug der Woche: Der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Eine Million Tonnen Autoblech wird ab 2021 in Dortmund verzinkt – letzte Woche war Grundsteinlegung für die neue Anlage, die ThyssenKrupp dazu für über 100 Millionen Euro auf der Westfalenhütte errichtet. Welche andere Branche bringt privates Geld in dieser Größenordnung in die Stadt?

Noch interessanter ist eine Stelle 600 Meter weiter Richtung Borsigplatz auf dem Werksgelände: Ein Kühlturm als die Verdichtung der großen Erzählung vom Kommen und Gehen der Industriegesellschaft. Luftbildreihe 1926 – 1932 – 1969 – 1989 – 2001 – 2014.

 

Und sonst?

Die erste Arbeit: Das Einkreisen der GegenwartDie zwölf Arbeiten des Verlegers von Jan Wenzel, verlinkt anlässlich der Verleihung des Deutschen Verlagspreis 2019 an Spector Books.

Zur Westfalenhütte siehe auch Streifzug Nr. 1
Luftbilder 1926-2009: Regionalverband Ruhr CC BY-NC-SA 4.0
Luftbild 2014: © Regionalverband Ruhr
Text: Haiko Hebig

Ausstellungen im November

$
0
0

Und wir versuchen es wieder: Hier unsere Übersicht mit Terminen zu Fotografie-Ausstellungen im Ruhrgebiet und darüber hinaus. Wir fangen mit den Pixelprojekt-Fotografinnen und Fotografen an, erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und machen hoffentlich Lust aufs Selberschauen.

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

3.11. – 1.12.2019
„Täuschung – Schein und Sein“ – Fotografien u.a. von Walter Schernstein
Forum Kunst & Architektur
Kopstadtplatz 12
45127 Essen
wbkessen.de – Ausstellung

3.11. – 1.12.2019
„Grenzfall“ – Fotografien von Norbert Enker
Kunsthalle Kulturbahnhof
Bahnhofstr. 82
49661 Cloppenburg
kunstkreis-cloppenburg.de – Ausstellung

7.11. – 24.11.2019
„Follow the water“ – Fotografien u.a. von Dirk Krüll und Julia Unkel
Kulturort Depot
Immermannstr. 29
44147 Dortmund
f2fotofestival.de – Ausstellung

16.11.2019 – 19.1.2020
„Retrospektive“ – Fotografien von Wolfgang Quickels
Heimatmuseum Unser Fritz
Unser-Fritz-Str. 108
44653 Herne
und
VHS_Galerie – Haus am Grünen Ring
Wilhelmstr. 37
44649 Herne
herne.de – Ausstellung

noch bis 24.11.2019
„Grenzfall“ – Fotografien von Norbert Enker
Kirchplatz in Damme
49401 Damme
damme.de – Ausstellung

noch bis 14.2.2020
„Von Menschen und Mauern “ – Fotografien u.a. von Rudi Meisel
Schloss Biesdorf
Alt Biesdorf 55
12683 Berlin
schlossbiesdorf.de – Ausstellung

noch bis 1.2.2020
„(An)sichten – Das Künstlerische im Dokumentarischen“ – Fotografien u.a. von André Gelpke
Art Foyer DZ Bank
Platz der Republik
60265 Frankfurt
dzbank-kunstsammlung.de – Ausstellung

noch bis 7.6.2020
„Entspannt euch! Freizeit im Ruhrgebiet“ – Fotografien aus der Sammlung des Pixelprojekt_Ruhrgebiet von Brigitte Kraemer, David Klammer und Dirk Krüll
St. Antony-Hütte
Antoniestraße 32-34
46119 Oberhausen
industriemuseum.lvr.de – Ausstellung

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 12.1.2020
„Laslo Moholy-Nagy“ Reihe Bauhaus am Folkwang
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
museum-folkwang.de – Ausstellung

noch bis 25.1.2020
„Am den Rändern der Seidenstrassen – Fotografien aus Pakistan, China, Kirgisistan und Usbekistan von Eckhard Gollnow“
Wissenschaftspark Gelsenkirchen
Munscheidstr. 14
45886 Gelsenkirchen
wipage.de – Ausstellung

noch bis 25.2.2020
„Mensch und Tier im Revier“ Fotografien und anderes
Ruhr Museum
Gelsenkirchener Str. 181
45309 Essen
ruhrmuseum.de – Ausstellung

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 10.11.2019
„Martin Parr – Retrospektive“
NRW – Forum
Ehrenhof 2
40479 Düsseldorf
nrw-forum.de – Ausstellung
noch bis 23.11.2019

„La Cucaracha“ Fotografien von Pieter Hugo
Galerie Priska Pasquer
Albertusstr. 18
50667 Köln
priskapasquer.art – Ausstellung

noch bis 9.2.2020
„Hochbunker“ – Fotografien von Boris Becker
Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur
Im Mediapark 7
50670 Köln
photographie-sk-kultur.de – Ausstellung

noch bis 8.3.2020
„The look of sound“ – Fotografien von Norman Seef
MAKK – Museum für angewandte Kunst Köln
An der Rechtschule
50667 Köln
museenkoeln.de – Ausstellung

PixelprojektRuhrgebietNRWDeutschland

noch bis 3.11.2019
„Neuland 1989-1999“ – Fotografien von Claudio Hills
Städtische Galerie Alte Schule
Schulhof 4
72488 Sigmaringen
kuku-sigmaringen.de – Ausstellung

noch bis 3.11.2019
„Greenpeace Photo Award“ Fotografien von Ian Willms und Pablo E. Piovano
f³ – freiraum für fotografie
Waldemarstr. 17
10179 Berlin
fhochdrei.org – Ausstellung

noch bis 10.11.2019
„Eine bessere Welt – unbedingt!“ Fotografien aus der Sammlung Michael Horbach
Willy Brandt Haus
Stresemannstr. 28
10963 Berlin
fkwbh.de – Ausstellung

noch bis 30.11.2019
„Unseen“ – Fotografien von Robert Frank
c/o Berlin
Hardenbergstr. 22-24
10623 Berlin
www.co-berlin.org – Ausstellung

zusammengestellt von Peter Liedtke
aktuelle Terminhinweise an fotodesign.liedtke@gmx.de

“Sofort, unverzüglich”

$
0
0

Im Streifzug der Woche vom 17. November 2017: Eine Grenze vor 30 Jahren, eine Grenze heute und Neues zur Maxhütte, zu China in Deutschland und zum geplanten ‘Nationalen Fotoinstitut’

 
30 Jahre “Nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich”

“Pure Neugierde, pure Fassungslosigkeit”: Fotos von Andreas Rost aus dem Frühjahr 1990 – “Wir saßen am Runden Tisch mit Leuten zusammen, die uns ein paar Wochen vorher noch in den Knast bringen wollten. Das war eine schöne philosophische Übung.” Einige der Fotos waren auch bei F/Stop in situ zu sehen, das Buch dazu erscheint Ende des Monats.

The Lost Border: Langzeitprojekt von Brian Rose

Amateurmaterial: Wir waren so frei, 7.000 Privataufnahmen der Wendezeit, auf der Website von 2008 leider nicht gut abrufbar. Ganz neu: Open Memory Box, private Schmalfilme aus der DDR.

Immer nur den Radfahrer auszupacken, wie arte es macht, greift beim Thema Fotografie (in) der DDR zwar etwas kurz, interessant ist der Kurzfilm über Harald Hauswald aber schon allein wegen seiner Tonspur: Beschreibungen seiner Fotos aus den Federn seiner Überwacher.

Genau passend dazu: “Die Recherche für dieses Projekt hat verdeutlicht, dass die Geheimdienstakten wenig über die Beobachteten, viel hingegen über die Ängste und Strategien der Beobachter*innen offenbaren.” – Ausstellung Artists & Agents – Performancekunst und Geheimdienste, noch bis Ende März 2020 beim HKMV in Dortmund.

Wer wissen möchte, was Hauswald von der Agentenprosa über ihn hält: Bonusfilm zum Radfahrer bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Auch der Hauptfilm ist dort zeitlich unbegrenzt zu sehen.

Ebenfalls bei der Bundeszentrale für politische Bildung: Feindbilder, Stasi-Dokumente als Zeitzeugnisse der innerdeutschen Grenze – “Die Stasi und ihre Fotospitzel [schufen] ein einmaliges historisches Archiv deutsch-deutscher Teilungsgeschichte.”

Diese bei der Stasi-Unterlagenbehörde gelandete Sammlung hat nicht nur Holger Kulick für seinen Film genutzt, sondern sie bildet auch die Basis so unterschiedlicher Arbeiten wie Simon Menners Surveillance Complex, Arwed Messmers Inventarisierung der Macht und dem kürzlich erschienenem Sunset von Jens Klein. Alle drei Fotografen sind auch bei Artists & Agents vertreten.

Margret Hoppe: Die verschwundenen Bilder // Ulrich Wüst // Und aus Kunstforum Band 263, Neubewertung einer Kunstlandschaft, gegen Ablieferung einer E-Mail-Adresse: Fotografie in stillgestellter Zeit, Übersichtsartikel von Christoph Tannert.

 

In dieser Woche

Einige Themen aus früheren Streifzügen wurden wieder aktuell:

Von Montag bis Mittwoch wurde der letzte Konverter des Maxhütten-Stahlwerks aus Streifzug 7 kleingeschnitten. Damit ist das Thema technisches Denkmal der Oxygenstahlerzeugung in Deutschland erledigt. Wer sich das Elend antun möchte: es gibt eine Webcam mit Rückspultaste.

Am Dienstag kam das erste Frachtschiff mit Containern aus China auf Rügen an: Der infrastrukturell erstklassige, momentan aber etwas überdimensionierte Hafen Mukran wurde in den 1980ern zur Versorgung der sowjetischen Truppen in der DDR gebaut und soll jetzt Verteilzentrum für den Ostseeraum der “Neuen Seidenstraße” werden. Am im Streifzug 3 besprochenen Duisburger Ende des Verkehrswegs macht man sich wenig Illusionen, wer bei der geplanten Intensivierung des China-Geschäfts Koch und Kellner ist: “Man könne zum Beispiel darauf achten, dass Arbeitsschutzbedingungen eingehalten würden”. Dass die eigenen “moralischen Werte und Interessenslagen” beim Umgang mit China “besonders abgewogen”, sprich, China nicht kritisiert werden sollte, findet auch Siemens-Chef Joe Kaeser, und zunehmend offen vor allem China selbst. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, ist da schon weiter: “Die Unternehmen müssen mehr Konflikte mit den chinesischen Ansprüchen eingehen, wenn sie in ihrer normativen Fundierung in der sozialen Marktwirtschaft glaubwürdig bleiben wollen.”

Und nachdem es um das in Streifzug 2 erwähnte “Deutsche Fotoinstitut” wieder ruhig geworden war, hat der Bundestag am Donnerstag eine Finanzierungszusage für einen Neubau im Düsseldorfer Ehrenhof gegeben. Just für diese Stelle hatte das vom früheren Chef der Kunstsammlung NRW Hagen Lippe-Weißenfeld geleitete Architekturbüro “ohne Mandat”, wie die Rheinische Post es ausdrückt, einen Bauentwurf vorgelegt und sein Projektbüro ein inhaltliches Konzept.

 

Und sonst?

Best of Luck with the Wall von Josh Begley, Interview und Intercept-Artikel dazu.

 

Text: Haiko Hebig
Titelbild: Josh Begley

Komm, wir bringen die Welt zum Leuchten

$
0
0

Fotograf Christoph Kniel zeigt Porträts Neuzugewanderter im Rathaus Essen.

Komm, wir bringen die Welt zum Leuchten, egal woher du kommst. Zu Hause ist da, wo deine Freunde sind. …. aus “Zuhause”, Liedtext von Adel Tawil (deutscher Popmusiker), interpretiert von Mara Minjoli und Gitarrist João Luís während der Vernissage der Fotoausstellung “Ich bin hier. Persönliche Einblicke über Ankommen und Bleiben – Neuzugewanderte in Essen” am 3. Dezember im Rathaus Essen.

“Ich bin hier…” präsentiert 16 Neuzugewanderte in Essen aus Guinea, Iran, Syrien und Somalia in Wort und Bildern. Mit der Kamera porträtiert von Christoph Kniel, Fotograf aus Essen, im zweiten Halbjahr 2018 an den Lieblingsorten in ihrer neuen Heimat.



Die 2×1 Meter großen Fotodisplays mit Statements wie ‘Seitdem ich in Deutschland bin, fühle ich mich Zuhause…’, ‘Alles wird gut. Man muss nur Geduld haben’ oder ‘Man hat uns von Anfang an unterstützt’ bilden mit der lesenswerten Begleitbroschüre eine unzertrennliche Einheit.

Die einfühlsamen Fotos und die Schicksale der Protagonisten lassen niemanden gleichgültig: die Texte von Desirée Fehst (Ltg. Öffentlichkeitsarbeit vom Kommunalen Integrationszentrum Essen) und Sonja Strahl berühren jeden Leser.



Die Fotos sind kreisförmig angeordnet, was sich integrativ auswirkt und während der Vernissage Besucher wie Porträtierte sofort ins Gespräch brachte. Und Oberbürgermeister Thomas Kufen verriet während seiner Ansprache, dass seine Vorfahren, Tagelöhner aus der Gegend um Kleve, bei ihrer Ankunft 1873 im damaligen Essen als Neuzugewanderte aufgenommen und dann dauerhaft sesshaft geworden sind.

“… Das Wichtigste dabei ist, dass wir offen aufeinander zugehen und unser Zusammenleben gemeinsam gestalten. Integration ist eine große Herausforderung, doch noch größer ist ihr Gewinn. Schließlich profitieren wir alle von einer bunten und vielfältigen Stadtgesellschaft, in der wir friedlich und gemeinschaftlich zusammenleben”, so Oberbürgermeister Thomas Kufen.



Insgesamt werden in der Fotoausstellung 16 Menschen portraitiert, die mit großer Offenheit ihre persönliche Geschichte erzählen. Dabei gehen sie auf ihre Vergangenheit im Herkunftsland, die gegenwärtige Situation in Deutschland und ihre Zukunftsvorstellungen und -wünsche ein.

Ziel der Fotoausstellung ist es, die Öffentlichkeit durch konkrete Beispiele für Integrationsherausforderungen zu sensibilisieren. Anders als bei vielen anderen Fotoprojekten werden in Essen ganz bewusst Erfolge im Ankommensprogramm gezeigt.


Exemplarisch hierzu Amira aus Syrien: sie floh vor dem Krieg mit ihrer Familie nach Essen. In Syrien war sie Lehrerin, ihr Mann arbeitete in einer Erdölfirma. Die erste Zeit in ihrer neuen Heimat war schwer für sie, mangelnde Deutschkenntnisse waren eine Barriere. Heute arbeitet sie sehr engagiert im Treffpunkt City Nord. In dieser Einrichtung der Ehrenamt Agentur Essen nimmt sie teil an Frauentreffen, leitet einen Näh- und Kochkurs, hat einen vollen Terminkalender.

Amira: ‘Es gibt keine Probleme, solange man Interesse und Engagement zeigt. Man hat uns von Anfang an unterstützt. Und wenn ich helfen kann, mache ich das auch.’ Übrigens: Samiras Töchter treten ganz in Mutters Fußstapfen: die eine wird Medizin studieren, die andere studiert Soziale Arbeit.

Übrigens: Welat aus Syrien spaziert viel durch Essen. Jeden Tag schaut er sich die Stadt und ihre Menschen genau an: der Kurde arbeitete u. a. als Schneider und Fotograf.

… Ich weiß genau, dass alles besser werden kann. Wenn ich ganz fest dran glaube, dann schaff ich es irgendwann…’. (Adel Tawil). In diesem Sinne ist allen Porträtierten und ihren Familien Glück zu wünschen in ihrem neuen Heimat Essen. Und allen weiteren Neuankömmlingen in Deutschland oder anderswo ebenso.

Christoph Kniel ist Pixelprojekt Ruhrgebiet-Fotograf und entwickelte 2012 mit seinem Fotografen-Partner Niko Synnatschke von KNSY.de die Idee zum BLOG FÜR FOTOGRAFIE ruhr.speak, einem Projekt von Pixelprojekt Ruhrgebiet.

“Ich bin hier. Persönliche Einblicke über Ankommen und Bleiben – Neuzugewanderte in Essen”
bis 13. Dezember

“hinteres” Foyer des Essener Rathauses, Porscheplatz 1
Danach soll die Ausstellung innerhalb der Stadt ‘wandern.

Veranstalter: Kommunales Integrationszentrum Essen mit Unterstützern Flüchtlingshilfe Steele e.V. – Runder Tisch Holsterhausen – Zukunft Bildungswerk – Jesuit Refugee Service – Courage – Diakoniewerk Essen – Runder Tisch Bergerhausen – Förderungsgesellschaft Kultur Integration – Ehrenamt Agentur – Akademie für Bildung und Soziales eGmbH

Text: Hartmut Bühler, Fotograf

Viewing all 106 articles
Browse latest View live