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Die schöne Seele des Peter Lindbergh – im Kunstpalast Düsseldorf

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140 von Millionen: ‘Untold Stories’, die Best-of Werkschau des großen Kamerakünstlers

„Als ich meine Fotos das erste Mal an der Wand … gesehen habe, habe ich mich erschreckt, aber auch positiv. Es war überwältigend, auf diese Art vor Augen geführt zu bekommen, wer ich bin“, so Lindbergh, der als Peter Brodbeck am 23. November 1944 in Leszno/heute Polen, geboren wurde.

Portrait PETER LINDBERGH © Foto: Stefan Rappo

Portrait PETER LINDBERGH © Foto: Stefan Rappo.

Vorweg: wer als Besucher zwingend Neues vom Meister aus Paris erwartet hat, wird eines anderen belehrt. Die Auswahl des am 3. September 2019 so überraschend verstorbenen Fotografen Lindbergh von Abermillionen geschossener Fotos macht dennoch staunen. Vor allem die Menschenbilder. Exakt 140 by Lindbergh kuratierte Fotos zeigen seine Berufs- wie Lebensbilanz. Denn mehr als 140 Bilder könne ein Publikum nicht aufnehmen. „An diese einzige Beschränkung hat er sich gehalten“, so Felix Krämer. Für sein Best-of investierte er zwei Jahre „Kampf zwischen Leben und Tod“. Es sind dann, so Lindbergh, reine ‘Bauchentscheidungen’ geworden. Ein Jammer, dass Lindbergh Lindberghs Best-of in Düsseldorf nicht mehr sehen konnte.

Fest steht: seine Fotografien sind längst in der Kunstwelt angekommen. Kunstpalast Generaldirektor Felix Krämer: „Lindbergh hat Fotogeschichte geschrieben. In den 1980er Jahren erweiterte er die Bildsprache der Modefotografie – eine Pionierleistung, deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart zu spüren sind.“

Peter Lindbergh Sasha Pivovarova, Steffy Argelich, Kirsten Owen & Guinivere van Seenus, Brooklyn, 2015

Sasha Pivovarova, Steffy Argelich, Kirsten Owen & Guinivere van Seenus, Brooklyn, 2015. © Peter Lindbergh (Courtesy Peter Lindbergh, Paris)

Der von Peter Brodbeck zu Beginn der 1970er Jahre gewählte Künstlername Lindbergh klingt international und half ihm dabei, Weltkarriere zu machen. Wie kaum ein anderer verstand es der in Duisburg aufgewachsene ehemalige Schaufensterdekorateur und Kunststudent, die als eher oberflächlich betrachtete Mode- und Werbefotografie um ‘Tiefe’ und Storytelling zu erweitern. Denn ihm ging es immer mehr um die Gesichter und Persönlichkeit seiner Protagonisten als um die Mode selbst. In ‘Untold Stories’ zeigt er, was seine Bilder jenseits der Mode bewirken. Lindbergh im Krämer-Interview: „Die Fotografie ist viel größer als die Mode selbst, sie ist Bestandteil der Gegenwartskultur wie die Musik.“

Düsseldorf und Lindbergh haben eine ganz persönliche Beziehung. Schon der Nachname seines Lehrherrn Hans Lux, Werbefotograf in Düsseldorf, ist eine kleine Story. Lux, lateinisch Licht, ist Grundvoraussetzung für jedes Foto. Und Lindbergh wurde zum Virtuosen des Lichts. Das zeigen explizit zwei je drei mal vier Meter große Motive im zur Lindbergh-Kathedrale verwandelten Kunstpalast.

US-Model Erin Wasson steht in den Kulissen des Paramount Studios. Sie wird vom Spot eines Filmscheinwerfers erfasst und von Lindbergh aufs Korn seines Films fixiert. Daneben Filmstar Uma Thurman, deren fein ausgeleuchtetes linkes Auge den Betrachter fixiert. 140 Clicks. Oder auch 140 Filmstills.

Uma Thurman, New York, 2016.© Peter Lindbergh (Courtesy Peter Lindbergh, Paris)

Uma Thurman, New York, 2016.© Peter Lindbergh (Courtesy Peter Lindbergh, Paris)

Die beiden ‘Seitenschiffe’ der Kathedrale sind als Installationen konzipiert. ‘Manifest’ besteht aus XXL-Fototapeten, die acht Meter in die Höhe ragen. Das ‘Langhaus’ hingegen zeigt gerahmt ‘die wichtigsten Arbeiten seines gesamten Œuvres in einer losen Chronologie, aber in neuen Zusammenhängen’, so Felix Krämer.

Klar, dass Lindbergh mit seinen Fotografien experimentiert und seine längst zu Ikonen gewordenen starken Frauen in den Mittelpunkt dieser Werkschau gestellt hat. Schön aber auch, dass er uns alltägliche Motive wie eine Sonnenblume, ein Verbotsschild, Hände, ein Stillleben mit Hummer, zwei Stühle mit Tisch und Aschenbecher am Strand, Frauenschuhe im Schlamm oder Raben umflattern eine Parkbank nicht vorenthält. Nur ein absolut souveräner Geist zeigt so etwas. Fast jeder andere Fotograf würde dafür belächelt.

Peter Lindbergh Karen Elson Los Angeles, 1997 © Peter Lindbergh (Courtesy Peter Lindbergh, Paris)

Karen Elson, Los Angeles, 1997. © Peter Lindbergh (Courtesy Peter Lindbergh, Paris)

Übrigens, Lindbergh hat den jungen Brodbeck nie vergessen: denn er fotografierte selbstverständlich auch im Ruhrgebiet. Model und Schauspielerin Amanda Cazalet zieht einen Kinderwagen mit Bierflaschen auf der Straße: königlich. Das war 1985. 1984: Model Kara Young vor Industriefassade, Schauspielerin Ariane Koizumi raucht Zigarette in einer Industriehalle oder Zeche.

Lindbergh überrascht permanent, auch am Ende der Ausstellung. Dort erwartet uns der Tod in einer Dunkelkammer, einer Art Todeszelle. Elf Porträts blicken uns darin an, mit würdigem Blick. In Farbe. Sie zeigen alle den 2013 hingerichteten Mörder Elmer Carroll. Ihn hat Lindbergh nicht nur mit der Foto-, sondern auch der Filmkamera besucht. 30 Minuten dauert die Filminstallation ‘Testament’, die Lindbergh durch einen Einwegspiegel mit Erlaubnis des Häftlings in Florida aufgenommen hat. Felicity Korn, Referentin von Generaldirektor Krämer. “Dieser Film zeigt eine überraschende und bisher unbekannte Seite von Lindberghs Arbeit. Er hat sich darin mit elementaren Fragestellungen auseinandergesetzt, wie Freiheit und Empathie.”

Todgeweiht sind wir alle. Unsterblich aber bleibt Lindbergh durch seine Fotos. Die zeigen, wer er war: ein leidenschaftlicher Menschenfreund, der mit seiner Kamera die innere Schönheit seiner Porträtierten gesucht und hoffentlich oft gefunden hat.

Ausstellung Peter Lindbergh.

Peter Lindbergh – Ausstellungsfoto: Hartmut Bühler

Alle präsentierten Fotos sind vom PL Studio, Paris, für die Ausstellung eigens hergestellte Abzüge. Bei den Fototapeten handelt es sich um sogenannte Bluebacks; Drucke auf Affichenpapier, wie sie auch für die Plakatierung im Stadtraum verwendet werden. Der farbige, meist blaue Hintergrund verhindert ein Durchschimmern von überklebten, älteren Plakatmotiven.

Peter Lindbergh – Untold Stories
bis zum 1. Juni im Kunstpalast Düsseldorf

www.kunstpalast.de

Danach reist die Werkschau nach Hamburg, Darmstadt und Neapel.

Der XXL-Ausstellungskatalog enthält einen sehr persönlichen Text von Wim Wenders sowie ein must read-Interview von Felix Krämer mit Peter Lindbergh.

Text und Ausstellungsfotos: Hartmut Bühler


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