“Letzten Endes ist der Grundstein jeder Gesellschaft der arbeitende Mensch“ Hoeschianer hatten ihn eingeladen, und er kam: Vor 30 Jahren, am 15. Juni 1989, besuchte Michael Gorbatschow in Dortmund die Westfalenhütte und sprach zu 9.000 Stahlarbeitern des Ruhrgebiets sowie zu Politikern wie Johannes Rau, Helmut Schmidt und Willy Brandt.
Auch der bei diesem Anlass vom Betriebsrat geäußerte Wunsch, ihn mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen, ging im Jahr darauf in Erfüllung. Eine Tafel im Werk erinnert an das Geschehen. Heute ist die Westfalenhhütte kein komplettes Hüttenwerk mehr, sondern nur noch Kaltwalz- und Weiterverarbeitungsstandort mit knapp vierstelliger Mitarbeiterzahl, allerdings mit Tendenz nach oben: Mit dem Bau der Feuerbeschichtungsanlage 10 direkt neben der 2001 in Betrieb genommenen FBA 8 wird die Kapazität für feuerverzinkte Autobleche bis 2021 auf 1,0 Mio t/Jahr verdoppelt.
Welterbe-Zuwachs
Nicht nur Zollverein: Mit dem ab dem 13. Jahrhundert entwickelten Augsburger Wassermanagement-System und der seit 800 Jahren vom Erzbergbau geprägten Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří sind in diesem Jahr gleich zwei deutsche Kulturlandschaften in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen worden, in denen technischer Fortschritt entscheidend war für gesellschaftliche Entwicklung und „Wohlergehen und Reichtum“, wie Thomas Weitzel, Leiter des Kulturreferats Augsburg, es ausdrückt.
Besonderheit bei der Ernennung einer Region ist, dass nicht ein einzelnes Bauwerk, sondern eine ganze Reihe zusammengehöriger Objekte geschützt wird – im Falle des Erzgebirges sogar grenzübergreifend: 17 auf deutscher, fünf auf tschechischer Seite. Hintergründe zur Ernennung von Regionen zum Welterbe gibt es im UNESCO Handbook for Conservation and Management.
Mit einer Ernennung ist aber noch kein Erhalt garantiert. Im Vordergrund steht die Möglichkeit zur regionalen wirtschaftlichen Entwicklung. So gehört die architektonisch einzigartige Manganerzgrube Dr. Geier bei Bingen zwar zum Welterbe Oberes Mittelrheintal. Dennoch wurde die prunkvoll im neobarocken Stil ausgeführte Anlage vor allem von 2012 bis 2014 in essentiellen Teilen zerstört.
Auch kann der Welterbestatus bei unverhältnismäßigen Eingriffen wieder aberkannt werden. Das ist im Erzgebirge relevant, weil der nach der Wende zum Erliegen gekommene Bergbau wieder aufgenommen werden soll: Derzeit wird in einem neuen Erkundungsschacht bei Pöhla Wolframerz abgebaut und in einer Pilotanlage in Mittenweide analysiert, mit dem Ziel, ab 2022 ein Bergwerk auf Wolfram und Flussspat zu betreiben.
Die im Dezember 2016 begonnenen Arbeiten stehen in einer ganzen Reihe von Vorhaben in Europa, vor allem Metallvorkommen neu oder erneut aufzuschließen, um sich von Importen aus China unabhängiger zu machen. Bei der Bewerbung des Erzgebirges zum Welterbe sei dies bereits bedacht worden.
Ebenfalls in diesem Jahr wurden bis in 8. Jahrhundert vor Christus zurückreichende Stätten der Eisenverhüttung in Burkina Faso sowie der Steinkohlenbergwerk Ombilin auf Sumatra zum Welterbe ernannt. Mit Ombilin deckte die niederländischen Kolonialmacht ab 1892 zeiweise 90% des Energiebedarfs Niederländisch-Ostindiens.
Heute sind in der Region über ein Dutzend Bergwerke aktiv. Insgesamt könnte in Asien und Afrika das Kohlezeitalter erst beginnen: Jeweils mehr als ein Dutzend Länder sind derzeit dabei, in die Kohleverstromung einzusteigen oder sie mehr als zu verdoppeln.
Viele Regionen werden überhaupt erstmals ans Stromnetz angeschlossen oder rund um die Uhr über Elektrizität verfügen. Alleine Indien baut mehr als doppelt so viel Leistung in Kohleblöcken hinzu, wie in Deutschland insgesamt installiert ist. Europa spielt bei Finanzierung, Bau, Betrieb und auch technischer Ausrüstung der neuen Anlagen keine Rolle.
Und sonst?
Luxus, Moral und Absolution – Interview mit dem Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich über „Kunst für den Markt und Kunst für Kuratoren“, alles nicht sehr rosig // Harald Szeemann’s Revolutionary Curating – bevor “kuratieren” ein Trendbegriff war // Good Intentions – Sebastiao Salgado, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019, Verriss, siebensseitger // Was ist eigentlich dokumentarisch? – Buchbesprechung
Text: Haiko Hebig
Titelfoto: Michael Gorbatschow 1989 auf der Westfalenhütte
Veranstaltung dazu am 21.07.2019 im Hoesch-Museum Dortmund
Foto: Karl-Heinz Jürgens/ThyssenKrupp Steel