Die Fotografie im und über das Ruhrgebiet hat eine lange Tradition. Bei genauerem Hinsehen setzen sich aber auch international immer mehr Fotografen mit der Montan Kultur Europas auseinander. Parallel entstehen auch außerhalb des Ruhrgebietes Initiativen, die diese Serien sammeln, ordnen und über das Internet weltweit sichtbar machen.
Von nahezu allen Gegenden dieser Erde, aber auch vom Mond, Mars und der Venus haben wir ein Bild, unabhängig davon, ob wir jemals an diesem Ort waren. Das Bild, das sich in unseren Köpfen festgesetzt hat, kommt häufig aus Filmen, die wir gesehen haben und mehr noch aus Fotografien, die sich gar nachhaltiger in unseren Köpfen festsetzen als persönliches Sehen.
Damit eine Landschaft eindeutig zuordenbar ist, muss sie markant und unverwechselbar sein. So hat die Loire ihre Schlösser, Ägypten seine Pyramiden, Köln seinen Dom, Paris den Eifelturm und das Ruhrgebiet Fördertürme und Hochofenanlagen. So weit, so gut, so einfach!
Damit sich in unseren Köpfen aber ein Bild einer Region bildet, braucht es wesentlich mehr. Es braucht das Wissen und die Stories sowohl von gestern als auch von heute, sowie die Perspektive des Kommenden. Je spannender umso besser und je besser dargestellt umso einprägsamer. Und es braucht Facetten, die das Hauptmerkmal verstärken, um im besten Fall aus einem Mineral einen begehrten Diamanten zu machen.

Einwohner von Ynysybwl, Wales, wandern mit ihren Hunden über das Gelände des früheren Lady Windsor Bergwerks, das 1988 geschlossen wurde. Davon ist nichts mehr übrig. Foto: Kaveh Rostamkhani
Natur -Romantik -Industrie
Als ich in den 1980er Jahren nach der Landschaft von Industriebrachen fotografisch suchte, war der übliche Begriff von Natur noch aus der Romantik geprägt – Wälder, Seen und Berge, aber auch Heide und das Meer. Das eine Industriebrache Landschaft sein könnte, wie wir sie kultiviert inzwischen an vielen Orten im Emscher-Landschaftspark vorfinden, war zunächst unvorstellbar. Die ästhetische Kraft und Einmaligkeit, die wir auf ehemals industriell geprägten Flächen vorfinden können, musste noch entdeckt und vermittelt werden, um dann schließlich auch Akzeptanz oder gar Stolz erlangen zu können.
Stadtökologen hatten hier schon lange Begriffe wie „Neue Natur“ oder „Natur der dritten Art“ gebraucht und auf den Wert dieser Landschaft hingewiesen. Später hieß diese Natur dann „Industrienatur“. Aber allein das Wissen um einen besonderen Wert kann nicht überzeugen, denn es vermag keine Herzen zu bewegen. Wir schützen und fördern, was wir lieben. Und Liebe geht zwar durch den Magen, aber sie entsteht vor Allem auf den ersten Blick. Und der erste Blick, den wir von vielen Dingen haben, ist der Blick der Fotografin oder des Fotografen, deren Bilder wir oftmals noch vor der ersten eigenen Wahrnehmung sehen. Die Werbung weiß das und nutzt es und gibt dem Ganzen auch gleich eine positive Wertung. Die Wissenschaft, die die Ratio über alles Ästhetische stellt, hat da schon wesentlich größere Schwierigkeiten und geht häufig eher auf Distanz zur Kunst, statt sie zu nutzen oder gar als Quelle von Erkenntnis und Inspiration zu akzeptieren.
Gibt es eine Kulturlandschaft Montan?
Ist also die Frage danach ob es eine Kulturlandschaft Montan gibt nicht also eher eine Frage der Ästhetik? Hier frage ich nicht nach schön oder hässlich sondern nach markant, eindeutig und unverwechselbar. Die Kulturlandschaft Montan ist geprägt durch die montanindustrielle Geschichte, durch Bergwerke und Hochofenanlagen, durch Halden und Bergsenkungsgebiete, durch Kanäle und Bahntrassen und häufig auch durch radikalen und städtebaulich ungeplanten Flächengebrauch und –verbrauch. Aber auch durch einen bestimmten Menschentypen – den Industriearbeiter, den Bergmann und Hüttenarbeiter. Den einfachen Menschen, die noch einer ehrlichen Arbeit nachgehen oder nachgegangen waren, miteinander in Gemeinschaft lebend, unabhängig von Religion, Hautfarbe und Herkunft. Und ihrer Familien. Den Frauen, die das Heim zur Oase verwandelten und den Kindern, denen es einmal durch mehr Bildung besser gehen sollte.

Dariusz Kantor aus der Serie: Von Kohle gezeichnet – Frauenarbeit im Steinkohlebergbau in Oberschlesien, 2002-2004
Diese Landschaften finden wir in ganz Europa aber auch in Übersee. In Frankreich und Belgien, in England und Polen und von Schweden bis zur Ukraine aber auch in Japan und Mexiko und von Australien bis Taiwan, Südafrika und in die USA. Vieles haben diese Kulturlandschaften gemeinsam, anderes ist unterschiedlich sowie die Geologie, das Klima, die Geschichte oder die politische Lage unterschiedlich sind.
Fotografie im Ruhrgebiet
Bernd und Hilla Becher gehörten wohl zu den ersten und radikalsten, die den Formen der montanindustriellen Bauten, der Fördertürme, Wassertürme, Hochöfen, Kohlebunker aber auch komplexer Industrieanlagen seit den 1970er Jahren weltweit ein Bild gaben und Sammlungen dieser unterschiedlichsten Formen als Typologien entwickelten. Damit waren sie zwar nicht die ersten, die einer Kulturlandschaft Montan nachspürten, aber die ersten, die einem Phänomen dieser Landschaft im internationalen Kontext und in absoluter Konsequenz nachgingen.
Albert Renger Patzsch und Heinrich Hauser, Chargesheimer und Anton Stankowski, Willy van Heekern, Rudolf Holtappel, Hans Rudolf Uthoff, Horst Lang, Walter Vogel, Jürgen Kassel, Klaus Rose und Helmut Kloth hießen Fotografen, die schon vor 1970 einzelne Aspekte der Kulturlandschaft Ruhrgebiet fotografierten und oftmals eher zufällig zu den ersten Chronisten der Region Ruhrgebiet wurden. Fotografen wie Wolfgang Staiger, Rudi Meisel, Andre Gelpke, Joachim Brohm, Brigitte Kraemer, Manfred Vollmer und Joachim Schumacher kamen später dazu. Und wenn man eine Liste all der Fotografen, die sich ernsthaft mit einzelnen Aspekten des Ruhrgebietes auseinandergesetzt haben, aufstellen möchte, kommt man schnell auf einige Hundert Fotografen. Viele davon und ihre Arbeiten sind inzwischen im Pixelprojekt_Ruhrgebiet sichtbar gemacht.
Allen Fotografen fehlt jedoch der Blick fürs Ganze. Kaum einer hat die Region Ruhrgebiet zum Thema sondern lediglich einzelne Aspekte. Im optimalen Fall schaffen einzelne Fotografen eine persönliche Sicht auf die Gesamtregion. Daraus allein aber so etwas wie Wahrheit oder Erkenntnis ableiten zu wollen, erscheint jedoch als absurd. Und doch prägen diese Fotoarbeiten die Region Ruhrgebiet und formen sie aus, laden sie auf mit Geschichten und Bildern und lassen letztlich erst so die Kulturlandschaft Ruhrgebiet entstehen. Ein Wechselspiel von dem was ist und dem was wir in den Köpfen durch Bilder produzieren! Mit Pixelprojekt_Ruhrgebiet als digitale Sammlung fotografischer Positionen ist es gelungen, all diesen Serien eine Klammer zu geben und ein regionales Gedächtnis der Region Ruhrgebiet über Fotografie sichtbar und durchs Internet gar weltweit sichtbar zu machen.
Ist es aber auch denkbar der Kulturlandschaft Montan Europe ein Bild zu geben?
Anfang des Jahres haben die beiden saarländischen Fotografen Thomas Roessler und Andre Mailänder gemeinsam mit mir und Kollegen aus dem umliegenden Raum bis Lothringen und Luxemburg einen Ableger des Pixelprojekt_Ruhrgebiet gegründet mit dem Namen „PixxelCult“. Hier soll versucht werden der Montan Kulturlandschaft Saar-Lor-Lux ein Bild zu geben in ähnlicher Struktur zu unserem Projekt im Ruhrgebiet. Nach dem Projekt „Vis a´ Vis“ des Ruhrmuseum Essen mit Arbeiten zu Lothringen und dem Ruhrgebiet aus dem 1980er und frühen 1990er Jahren nun ein nachhaltiger Ansatz diese Montanlandschaften miteinander zu vergleichen. Und auch im Norden ist aktuell das Museum für Photographie Braunschweig mit einer regionalen digitalen fotografischen Sammlung für Braunschweig und Niedersachsen unterwegs. Industriegeschichte wird auch hier Bedeutung haben. Vor Jahren hat bereits in der belgischen Stadt Genk in Flandern das Projekt Coalface begonnen, die flandrische Montanlandschaft durch regelmäßige Fotoausstellungen sichtbar zu machen und aufzuwerten.

Sabine Niggemann aus der Serie Charleroi, 2013
Und sobald man recherchiert entdeckt man so wunderbare Arbeiten wie die von Dariusz Kantor zu Frauenarbeit in polnischen Kohlerevieren, wie von Sabine Niggemann zur heutigen montangeprägten Stadtlandschaft im belgischen Charlerois, wie die von Michael Kerstgens zu Bergarbeiterstreiks in Wales 1984 oder zur heutigen Bergbauregion Wales mit seinen ehemaligen Bergarbeitern von Kaveh Rostamkhan, die Arbeit Coal is B(l)ack von Danny Veys zur aktuellen Situation in der Bergbauregion Donbass in der Ukraine, die Arbeit von Naoya Hatakeyama zu Kegelhalden im französischen Nord-Pas-de-Calais oder die von Tomas Roessler zu Altlasten auf Montanflächen im Saarland.
Auf wie viele Arbeiten wird man stoßen, wenn man genauer recherchiert, wenn man Kooperationspartner findet und wenn man Strukturen schafft, die diese Arbeiten sichtbar machen. Nachdem wir mit Pixelprojekt_Ruhrgebiet und einer ersten Ausstellung 2004 gestartet waren, hatten wir allein in den ersten 24 Stunden 20 Neuanmeldungen von Fotografen, die ihre Arbeit ins Projekt aufgenommen haben wollten.
Vergleichen – unterscheiden – entdecken
Bei der Suche nach Fotoserien zur Montanlandschaft Europe ginge es dann um wesentlich mehr als um das Sammeln von Bildern zum Thema Industriekultur. Es geht um Vergleichen und Unterscheiden genauso wie darum, Gemeinsamkeiten zu entdecken. Und es geht um Erkenntnisse sowie um ein voneinander Lernen. Die Montanregionen Europas haben nämlich nicht nur eine ähnliche Geschichte sondern nicht zuletzt auch gemeinsame Strukturprobleme.
Und es geht um Zukunft. Welche Wege gehen andere Regionen, um sich neu zu erfinden oder auch um den Strukturwandel zu meistern. Wir im Ruhrgebiet haben hier enorme Erfahrungen und sind bereits an vielen Stellen diese Transformation fast meisterhaft angegangen. Seit der IBA Emscher Park, die sich ja auch als Labor für die Gestaltung alter Industrielandschaften verstand, sind Begriffe wie Industriekultur und Industrienatur positiv besetzt.
Aber auch wir können viel von den anderen Montanregionen lernen. Dazu müssen wir von den anderen Regionen und ihren Geschichten erfahren. Und mit wir meine ich weite Bevölkerungsschichten und nicht nur die kleine aber wachsende Schar von Industriearchäologen und Raumplanern.
Fotografie bietet sich als nonverbales Kommunikationsmedium für breite Bevölkerungsschichten und für ein zusammenwachsendes Europa aber auch darüber hinaus geradezu an. In einem Pixelproject Montan Europe könnte die europäische Montan-Kulturlandschaft nicht nur sichtbar sondern auch breit und anders diskutierbar gemacht werden.
Text: Peter Liedtke